Wissenschaft und Spiritualität

Gibt es Berührungspunkte?

Die Lehre des U.G. Krishnamurti: Eine Fallstudie

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Referat von Dr. J.S.R.L. Narayana Moorty, gehalten aus Anlaß der Krishnamurti Centennial Conference an der Miami University, Oxford, Ohio, U.S.A. vom 18. - 21. Mai 1995
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Übersetzung: Ulla Inayat-Khan

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Im folgenden Referat werden einige der Fragen erörtert, die für gewöhnlich hinsichtlich der Beziehung zwischen Wissenschaft und Spiritualität erhoben werden. Im besonderen möchte ich das Problem der angeblichen Ähnlichkeit (oder Symmetrie) zwischen den Thesen der Wissenschaftler und den Aussagen der Mystiker untersuchen, die diese in Hinsicht auf die Einheit der Existenz (oder des Universums) machen. Ich werde Gründe dafür anführen, warum die Standpunkte der Wissenschaftler nicht mit denen der Mystiker vergleichbar sind, und ich möchte die Behauptung aufstellen, daß die Prämisse, der Mystiker oder der Wissenschaftler besäße irgendwelche Erfahrung oder ein Wissen über den Zustand der Einheit, fraglich ist, insbesondere unter Heranziehung der Lehre U.G. Krishnamurtis, eines zeitgenössischen Lehrers.

Ich werde in meinen Erörterungen auf einige bekannte zeitgenössische Wissenschaftler Bezug nehmen, z. B. David Bohm, Rupert Sheldrake und Stephen Hawking. Außerdem werde ich einige Aussagen U.G. Krishnamurtis als Bezugspunkt benützen, ebenso werde ich einige seiner Thesen in Frage stellen. Ich werde auch das Thema des Überlebens der Seele nach dem Tod des physischen Körpers anschneiden, und ich werde die Ansichten von Rupert Sheldrake mit denen U.G. Krishnamurtis vergleichen. Um meine Darstellung U.G.s abzuschließen, werde ich über einige seiner Ansichten berichten, die für die Wissenschaft und ihre Methoden und Schlußfolgerungen mehr oder weniger relevant sind, ebenso werde ich einige Bemerkungen darüber machen, wie U.G. im täglichen Leben ohne die Last des Denkens funktioniert. Ich werde mein Referat mit einigen meiner eigenen Anmerkungen über U.G. und seine Lehre zum Abschluß bringen.

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U.G. Krishnamurti (im Folgenden U.G. genannt, denn so wird er von denen angesprochen, die ihn persönlich kennen) ist nicht nur gänzlich radikal in seiner Lehre, sondern er äußert sich auch beständig über die radikale Umwandlung, die er 1967 durchgemacht hat, als er 49 Jahre alt war (er ist jetzt 76) und über die veränderte Weise, in der er gegenwärtig im täglichen Leben funktioniert. Welcherart die Veränderungen auch waren, die er zur Zeit seiner Umwandlung durchgemacht hat, sie befreiten ihn aus der 'Umklammerung' des Denkens, und auf irgendeine Weise ist er ohne ein 'Selbst' oder ohne 'Verstand'. Seine Äußerungen darüber, wie sein Körper funktioniert, die Art und Weise, wie seine visuellen oder sonstigen Wahrnehmungen geschehen und seine Anmerkungen über andere Dinge, sind für das Thema dieses Vortrages durchaus relevant. Auch stellen seine Bemerkungen über die Möglichkeit (oder vielmehr die Unmöglichkeit), das Universum zu verstehen oder jene Erfahrung der Einheit zu machen, die im allgemeinen den Mystikern zugeschrieben wird, unsere eigenen Annahmen auf diesem Gebiet in Frage und geben uns Raum, sie zu hinterfragen.

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Die Religion, als deren wesentliches Merkmal die Spiritualität gilt, ist in der Vergangenheit mit einigen der Theorien und Schlußfolgerungen der Wissenschaft in Konflikt geraten. Drei der Hauptkonfliktzonen sind: Der Zeitpunkt der Schöpfung, die Art und Weise der Schöpfung und die Beschaffenheit des menschlichen Wesens, insbesondere bezüglich der Frage, ob es etwas wie eine Seele im Menschen gibt, das den Tod des physischen Körpers überlebt. Das augenfälligste Beispiel dieses Konfliktes zeigt sich am sogenannten Kreatianismus im Gegensatz zur Evolution. Die meisten Menschen, zumindest jene, die nicht ganz und gar an die Lehren der Bibel (oder des Koran) gebunden sind, betrachten diesen Konflikt als zugunsten der Wissenschaft entschieden. Auch was den ersten dieser drei Belange angeht, d.h. das Alter der Schöpfung, wird man wohl mit der gegenwärtigen Wissenschaftslehre übereinstimmen, daß die Anfänge des Universums in einer sehr viel weiter zurückliegenden Vergangenheit als das Jahr 3000 v.Chr. liegen.

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Einige Religionen, insbesondere der Hinduismus, der Buddhismus und der Taoismus (und vielleicht auch der Konfuzianismus) haben (zumindest hin und wieder) erklärt, sie stünden nicht im Widerspruch mit der Wissenschaft, insbesondere auf dem Gebiet des Ursprungs der Schöpfung und der Art und Weise, wie sie geschehen sei. Der Hinduismus ist mit dem Evolutionsgedanken völlig vereinbar, obwohl er annehmen würde, daß die Schöpfung am Beginn jedes Zykluses von Schöpfung-Erhaltung-Auflösung aus einer Urmaterie entsteht. Diese Religionen gehen mit der Wissenschaft auch bezüglich des Alters des Universums konform. Der Hinduismus zum Beispiel würde so ungefähr damit übereinstimmen, daß das Alter des Universums bei, sagen wir, einigen Milliarden Jahren liegt. Der Hinduismus hat auch seine eigene Evolutionstheorie, die sich mit der wissenschaftlichen Theorie dadurch vereinbaren läßt, daß die Evolution vom Einfachen hin zum Komplexen und vom Homogenen hin zum Heterogenen gerichtet ist.

Wie auch immer diese Streitpunkte zwischen Religion und Wissenschaft beigelegt werden, da gibt es noch ein anderes Berührungsfeld, das für die gegenseitigen Interessen und Nachforschungen anziehender und leichter zugänglich zu sein scheint - und das ist die Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Spiritualität. Hier scheinen die Kontaktpunkte viel dichter und vertrauter beieinander zu liegen. Renée Weber behauptet in "Wissenschaftler und Weise - Gespräche über die Einheit des Seins", daß sowohl der Wissenschaftler als auch der Mystiker im Universum oder der Realität nach Einheit sucht. "Ein paralleles Prinzip leitet sowohl Wissenschaft als auch Mystik - nämlich die Annahme, daß die Einheit im Herzen unserer Welt liegt und sie von den Menschen entdeckt und erfahren werden kann." (Weber, S. 37). Während der Mystiker, nach Weber, der Frage der Einheit durch seine wissenschaftliche Methodik und Argumentation nachgeht, nähert sich ihr der Mystiker durch die Selbsterkenntnis. Während die Methodologie der Wissenschaft quantitativ und mathematisch ist, ist die Methode der Mystik die Meditation. (Weber, S. 29). Weber räumt jedoch ein, daß noch andere Unterschiede zwischen Wissenschaft und Mystizismus bestehen: die wissenschaftliche Methode ist kognitiv und analytisch; sie studiert das Universum in kleinen Stücken. Sie behauptet, ihre Ergebnisse seien objektiv und wertfrei. (Weber, S. 30). Die Einheit des Mystikers ist empirisch - es ist die Vereinigung mit dem Unendlichen (zum Beispiel das "Du bist das" der Upanischaden). (Weber, S. 32). Während der Wissenschaftler nach Vereinheitlichung sucht, bezieht er sich selbst in diese "Gleichung" nicht mit ein (Weber, S. 33), und das ungeachtet der Tatsache, daß nach dem Auftreten der Quantenmechanik der Beobachter und das beobachtete Objekt "eine Einheit bilden können". Nach Weber hat die volle Bedeutung dieser Aussage die wissenschaftliche Gemeinschaft noch nicht erreicht. (Weber, S. 33).

Insbesondere in der Physik ist die Suche nach einer 'Singularität', die vor der Zeit bestand, wie in den physikalischen Theorien des Stephen Hawking, ein Ausdruck für diese Suche nach Einheit, ebenso wie die 'supra-implizite Ordnung' bei David Bohm. Professor Bohm behauptet, daß die quantenmechanische Feldtheorie ein Bild wie seine supra-implizite Ordnung bereits impliziert. (Weber, S.72). Nach seiner Ansicht ist die Beziehung zwischen dem, was er die supra-implizite Ordnung(1) und die implizite Ordnung nennt, vergleichbar mit der Beziehung zwischen Bewußtsein und Materie. Sie sind zwei Seiten eines 'Prozesses'. (Weber, S. 74). Bohm bestreitet die Behauptung anderer Wissenschaftler, daß seine Theorien keinen großen wissenschaftlichen Wert besäßen, da sie keine empirisch vorhersagbaren Resultate lieferten. Er behauptet dagegen, daß seine Theorie keine reine Spekulation sei, "sondern ein Bild, welches die Quantenmechanik von heute bereits impliziert, wenn man sie imaginativ betrachtet." (Weber, S. 72). Aber auf die Frage, ob es eine super supra-implizite Ordnung gäbe, antwortete er: "Diese Ebene können wir gedanklich gar nicht fassen. Es soll nicht die Behauptung aufgestellt werden, irgend etwas sei ein Synonym für Gott. Ich möchte es anders ausdrücken: Menschen erkannten in der Vergangenheit eine Intelligenzform, die das Universum organisiert hatte. Sie personalisierten diese und nannten sie Gott. Ein ähnlicher Einblick ist heutzutage auch möglich, ohne ihn zu personalisieren und einen persönlichen Gott zu nennen." (Weber, S. 76).

Bohm beobachtet, daß Sheldrake, ein Biologe, selbst zugibt, daß die Evidenz für die morphogenetischen Felder(2) des letzteren sehr gering ist, "und es diesbezüglich noch weiterer experimenteller Hinweise bedarf." (Weber, S.159). Seine und Sheldrakes Theorien sind ebenso überprüfbar wie jede andere Theorie. Es gibt keine Möglichkeit, eine so allgemein gehaltene Theorie zu widerlegen, obgleich es möglich wäre, Hinweise zu sammeln, die sie unwahrscheinlich werden ließe. Soweit es um die Theorie der impliziten Ordnung geht, wäre es noch schwieriger, Beweismaterial zu diskutieren, da diese noch allgemeiner gehalten ist. Der einzige 'Beweis', den ich anführen könnte, wäre, daß es sich um eine Sichtweise handelt, die zu einer Gesamtsicht des Themas führt. Zudem meine ich, sie verspricht, wahrheitsgetreu zu sein... (Weber, S. 159).

Bohm bestreitet die wissenschaftliche Vorstellung, daß die Fähigkeit einer Theorie, die Natur vorauszusagen und zu kontrollieren, auch ihre Wahrheit beweisen würde. "Es zeigt nur, daß wir ein gutes Werkzeug besitzen und damit auf bestimmte Fragen die richtigen Antworten erhalten. Beschränkt man sich auf diese Fragen, scheint die dahinterstehende Theorie natürlich unanfechtbar." (Weber, S. 161).
 

Im allgemeinen scheinen sowohl Bohm als auch Sheldrake von der Vorstellung auszugehen, daß sich das Universum letztendlich aus einer Art Bewußtsein oder Intelligenz heraus entwickelt hat. Beide stellen in Abrede, daß entweder die Materie oder der Mechanismus die Natur und das Universum erklären könne. Beide glauben sie, daß Sinn (die Mathematik für David Bohm) und Ordnung Teil der Natur seien und daß wir diese Ordnung mittels der Mathematik oder wissenschaftlicher Theorien studieren können. Und doch vermittelt Bohm die Überzeugung, daß das Denken unfähig ist, die Ursprünge des Universums zu begreifen, da schon Wissenschaftler wie Poincaré und Einstein die Quelle ihrer Mathematik nicht kannten und diese als 'mysteriös' bezeichneten. (Weber, S. 232). Es ist Bohms Ansicht, daß der Wissenschaftler, insofern er die mathematische Ordnung des Universums erforscht und insofern die Mathematik Sinn bedeutet und Sinn eine Eigenschaft des Bewußtseins ist, er im Endeffekt, wie der Mystiker, in das Bewußtsein eindringt. "In gewisser Weise geht der reine Mathematiker auf Bewußtseinsaspekte ein, obgleich diese durch materielle Erfahrungen inspiriert sein mögen. Haben diese jedoch das Bewußtsein erreicht, bemüht er sich, das zu erkennen, was sich bewußtseinsmäßig vollzieht und eine Ordnung in sich selbst besitzt." (Weber, S. 234).

Physiker wie Hawking, obgleich kritisch eingestellt gegenüber den spekulativen Neigungen von Wissenschaftlern wie Bohm, gestehen es sich doch auf Grund der Tatsache, daß ihre Theorien nicht im Sinne Karl Poppers (Weber, S. 322) verfälschbar sind, ein, daß "der Großteil der theoretischen Physik vor einer praktischen Anwendung aus dem Drang heraus motiviert ist, das Universum zu verstehen, denn wir wissen bereits genug, um praktische Anwendungen abzuleiten." (Weber S. 324). Hawking gibt zu, daß die Theorien über die vier Grundgesetze nicht konsistent sind, obgleich adäquat "um mehr oder weniger vorhersagen zu können, was in den meisten normalen Situationen passieren wird". (Weber, S. 322). Sie unterscheiden sich in ihren Voraussagen bei sehr hohen Energien, viel höheren Energien, als wir sie simulieren können. Wir verlangen von physikalischen Theorien, daß sie konsistent sind, also fordern wir von der Natur, daß sie konsistent sei. Hawking glaubt auch, daß "Zeit, Raum und alles andere sich wirklich in uns selbst befindet. Es handelt sich ausschließlich um mathematische Modelle, die wir geschaffen haben, um das Universum zu beschreiben." (Weber, S. 326). Also sagt Hawking folgerichtig, daß die Unterscheidung zwischen dem Studium der Natur oder dem des Naturverständnisses keine sinnvolle ist.

Aus den oben Dargelegten wird somit deutlich, daß sich Wissenschaftler wie Bohm und Hawking mehr um Grade als in der Sache unterscheiden. Beide möchten zu einem theoretischen Verständnis des Universums gelangen. Und beide möchten zu einem theoretischen Verständnis des Universum gelangen, das auf Einheit hindeutet. Beide verlassen sich auf Vernunft und Denken, obwohl sich Bohm, seinen mystischen Neigungen gemäß, eingesteht, daß das Denken unfähig ist, eine letzte Realität verstehen zu können. Beide würden über ausschließlich experimentelle Vorhersagbarkeit hinausgehen. Der Unterschied scheint darin zu liegen, daß Hawking sich darauf beschränken würde, die Konflikte der verschiedenen wissenschaftlichen Theorien bezüglich der fundamentalen Felder auszusöhnen, wohingegen Bohm weitergehen würde, um die Theorien zu verstehen und eine Einheit anzustreben, die über die der gegenwärtigen physikalischen Theorie hinausgeht.

Dahingegen ist der Mystiker, nach Weber, damit beschäftigt, "sein selbstbezogenes Ego und den dreidimensional existierenden Denker, der dieses aufrechterhält, aufzuspalten". (Weber, S. 34). "Der Mystiker ändert die feinstoffliche Materie in sich in einer radikalen Art und Weise, für die es keine gegenwärtige Erklärung gibt, indem er sich selbst verändert." (Weber, S. 36). Für den Mystiker kann eine Theorie die Realität nicht umfassen, denn sie würde dem Unbegrenzten Schranken setzen. (Weber, S. 39). Die Fragen des 'warum' und 'wofür' bringen den Mystiker auf die Idee, das Universum habe seinen Anfang im Bewußtsein genommen. "Die feinstoffliche Materie erzeugt und leitet die grobstoffliche, aber alle Materie bildet ein Kontinuum. Je feinstofflicher die Materie ist, desto näher kommt sie dem, was wir als Bewußtsein bezeichnen. An ihrem feinstofflichsten und innersten Punkt (falls es einen solchen Endpunkt geben sollte), können Materie und Bewußtsein nicht mehr unterschieden werden." (Weber, S. 40). Frau Professor Weber glaubt, daß man sich dieser feinstofflichen Materie "in nicht gewöhnlichen Bewußtseinszuständen nähern" kann, zum Beispiel im tibetanischen Buddhismus. "Eine traditionelle Meditation des tibetanischen Buddhismus ermöglicht es dem Meditierenden, die Einheit von Raum, Materie und Bewußtsein zu erfahren." (Weber. S. 41).

Ungeachtet der Feststellungen von Bohm und Hawking, sie studierten in der Physik nur Modelle, oder in anderen Worten: der Physiker studierte lediglich sich selbst (d.h. eher die mathematischen Modelle, die er in sich trägt, als die Realität selbst), so ist es doch klar, daß das Studium auf irgendeine Art und Weise die Wissenschaftler selbst nicht einschließt, was es auch, grundsätzlich gesehen, gar nicht kann. Es ist nicht nur so, daß die Wissenschaft, wie Weber behauptet, noch nicht zu einem Verständnis der Implikationen der Quantenmechanik gekommen ist, und es ist auch nicht so, daß wir tatsächlich nicht die Realität, sondern nur unsere Interpretation der Realität studieren, wie es die 'Kopenhagener Interpretation' feststellt, sondern es ist so, daß - gleichgültig zu welcher Theorie ein Physiker auch gelangt - sie, als Theorie, die Person des Wissenschaftlers als Teil der Einheit ausschließen muß. Eine Theorie ist ein Gedanke, und als Gedanke muß sie den Denkenden ausschließen. Das ist genau die Trennung, die der Mystiker zu transzendieren versucht. Es ist nur ein Zugeständnis von Seiten Bohms an den Mystizismus, wenn er sagt, daß das Denken nicht an die Realität heranreichen kann, oder daß der Physiker das Bewußtsein studieren würde. Die von ihm getroffenen Feststellungen sind nicht mit der Wissenschaft oder der Wissenschaftsmethode, insbesondere ihrer Rationalität, vereinbar.

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Was andererseits einem Lehrer wie U.G. problematisch erscheint, ist nicht nur, daß unsere Theorien über das Universum, über Raum und Zeit, das Kausalprinzip oder die Evolution lediglich unsere Interpretationen der Realität darstellen, sondern auch, daß das Selbst (des Wissenschaftlers, vom Standpunkt des Wissenschaftlers aus gesehen) nur ein Produkt verschiedener zusammengesetzter Empfindungen oder Erinnerungen (seines) Denkens ist. In diesem Sinne also ist das Selbst oder das Subjekt, das die wissenschaftliche Studie ausführt und das normalerweise als erwiesen betrachtet wird, auch nur eine 'Interpretation'.

Der Mystiker seinerseits, insofern als er ein Mystiker ist, interessiert sich mehr dafür, was Weber die Vereinigung mit der Realität nennt. Solch eine Vereinigung mag darin resultieren, daß das eigene Gefühl der Trennung transzendiert wird; eine Transzendenz, die der Mystiker durch seine Methoden der Selbsterkenntnis und der Meditation zu erlangen sucht. Die Auslassungen des Mystikers über seine experimentelle Entdeckung der Einheit der Existenz, des Universums oder der Gottheit sind indes in keiner Weise mit den Theorien des Physikers über das Universum vergleichbar, denn die Aussagen des Mystikers haben keinen wissenschaftlichen, will heißen, öffentlich überprüfbaren (oder als falsch nachweisbaren) Gehalt, wie die des Wissenschaftlers.

Es ist richtig, daß in gewissem Sinne sowohl der Mystiker als auch der Wissenschaftler nach Einheit suchen. Vielleicht ist die ganze Suche nach Verstehen aus einem Gefühl der Trennung heraus entstanden, das vom Denkprozeß verursacht wird und das im Bewußtsein als klare Spaltung zwischen einem selbst als dem Beobachter und der Welt als dem Beobachteten (sich selbst darin eingeschlossen, insofern, als man sich als ein Wesen innerhalb dieser Welt betrachtet) dargestellt wird. Aber zwischen diesen beiden Annäherungen gibt es einen fundamentalen Unterschied: der Wissenschaftler ist mit einer bloßen 'Erfahrung' der Einheit nicht zufrieden, woraus auch immer diese Einheit bestehen sollte, sondern er sucht nach einer Vereinigung in der Theorie. Der Mystiker ist sich dahingegen sicher, daß keine Theorie jemals in einer vereinigenden Erfahrung resultieren wird. Im übrigen wird es, wenn der Mystiker solch eine Einheit 'erlebt', keine Suche nach Einheit mehr geben. Nicht nur, daß es keine Suche mehr gibt, auch der Suchende selbst ist in einem ganz fundamentalen Sinne nicht mehr vorhanden. In diesem Zusammenhang haben die Lehren U.G.s ihre Relevanz.

U.G. sagt, daß die grundsätzlichen Fragen über das Universum oder uns selbst (oder die Realität, wenn man es so nennen will oder, so möchten wir hinzufügen, die Fragen über den Sinn des Lebens) das Selbst sind. Diese Fragen versuchen sich als das Selbst zu behaupten, und darüber hinaus lassen sie keine vollständige Antwort zu, denn diese Antwort würde das Ende des Fragenden bedeuten. Tatsächlich wird der gleiche Denkprozeß, der die ursprüngliche Trennung zwischen dem Denker und der Welt geschaffen hat, endlos weitere Fragen stellen, gleichgültig welche Antwort ihm auch gegeben wurde.(3)

Überdies (und das steht ganz im Widerspruch zu vielen mystischen Traditionen) kann es keine 'Erfahrung' der Einheit oder eine Vereinigung mit der Realität geben, sagt U.G. Nach ihm setzt der Anspruch auf jegliche Erfahrung nicht nur ein Bewußtsein der Erfahrung als ein Objekt voraus, sondern auch ihr Erkennen als eine Erfahrung. Und diese Bedingungen reichen aus, um jede Möglichkeit zu zerstören, daß es da eine Einheit geben könnte, geschweige denn eine Erfahrung der Einheit, denn ein Erkennen schließt eine Dualität, oder eine Trennung, zwischen Subjekt und Objekt ein. Wie kann es eine Erfahrung der Einheit geben, wenn es ein Subjekt gibt, das aus dem Objekt der Erfahrung ausgeschlossen ist?

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Ist es möglich, daß es in der Tat eine Erfahrung der Einheit gibt, obwohl diese, wenn sie geschieht, nicht bewußt ist, die aber doch später einmal wieder ins Gedächtnis zurückgerufen werden könnte? U.G. bestreitet, daß es solch eine Möglichkeit gibt, denn damit es eine Erinnerung an ein Erlebnis geben kann, muß es eine Anfangserfahrung (oder ein Wissen) mit einer Bewußtheit gegeben haben, und das schließt eine Unterscheidung zwischen Subjekt und Objekt ein. Mit anderen Worten, er bestreitet, daß es die Möglichkeit einer Erfahrung ohne die Subjekt-Objekt-Aufteilung gibt; wäre es möglich, solch ein Erlebnis zu haben, dann könnten wir keine Erinnerung daran haben. Wenn es eine solche Unterscheidung nicht gibt (wie es bei einer sogenannten Erfahrung der Einheit der Fall sein sollte), dann kann es auch kein Erkennen dieses Zustandes geben, daher bildet dieser Zustand keine Erfahrung, und aus diesem Grund kann es auch später keine Erinnerung daran geben.

Und dennoch, wenn U.G. seinen eigenen 'Sterbe'prozeß(4) oder einen 'gedankenlosen' Zustand beschreibt, räumt er ein, daß in diesem Zustand ein Bewußtsein dessen, was vor sich geht, bestehen muß, sonst wäre es ihm nicht möglich, darüber zu sprechen. Dieses Eingeständnis bringt uns zu der Überlegung, ob U.G. nicht vielleicht doch mit Wissenschaftlern wie Sheldrake und Bohm in ihrer Behauptung übereinstimmt, daß das Bewußtsein die letzte Realität und die 'Einheit' des Universums sei. U.G.s Eingeständnis entspräche der Überlegung der Wissenschaftler auch noch in einem andere Sinne, nämlich, daß es irgendwie spekulativ ist (wenn auch vielleicht nicht für ihn), denn in der Bewußtheit seines eigenen gedankenlosen Zustandes muß ein Denken wirksam sein (seinem eigenen Eingeständnis gemäß, denn sonst wäre es ihm nicht möglich, darüber zu berichten), und seine These, daß Bewußtsein überall sei, wäre demnach auch spekulativ. Er mag in dieser Sache über ein (unserem Wissen) überlegenes Wissen verfügen, aber für uns müssen Behauptungen, die ein solches Wissen zum Ausdruck bringen, ebenso spekulativ klingen wie die der Wissenschaftler.

Wäre es denn möglich, daß, wenn der Mystiker über die Erfahrung der Einheit spricht (sagen wir, die Erfahrung von Brahman oder von Leere), da nur eine Einheit des Bewußtseins besteht (sagen wir, einfach eine Bewußtheit), ohne jegliche Bewußtheit dieser Bewußtheit (oder eine 'minimale' oder 'implizite' Bewußtheit, wie U.G. es in seinem eigenen Fall selbst anzudeuten scheint, wenn er diese 'Todeserfahrung' oder ähnliche außergewöhnliche Erfahrungen macht (s. ff...)), und daß eine totale Aufteilung in Subjekt und Objekt dann erscheint, wenn diese Erfahrung in die Erinnerung gerufen und benannt wird? In anderen Worten, ist es möglich, daß im Mystiker, obwohl die Kontinuität des Bewußtseins in ihm dergestalt abgebrochen wurde, daß es kein Selbst gibt (die Kontinuität des Bewußtseins oder der Erfahrung oder des Gedächtnisses ist das, was das Selbst schafft), doch immer noch ein physiologischer Nachhall oder eine Spur der vorausgegangen Erfahrung vorhanden ist? Ist es außerdem möglich, daß, obwohl es zur Zeit der Erfahrung keine explizite Subjekt-Objekt-Differenzierung gab, eine Erinnerung an diese Erfahrung später möglich wird, weil diese physiologische Spur zu diesem späteren Zeitpunkt als eine Gedächtniserfahrung interpretiert wird und als Folge davon die Erfahrung erkannt und benannt wird (obwohl man sie als unbeschreiblich bezeichnet)? Es könnte gut sein, daß die Erfahrung jetzt als eine der formlosen Leere oder der Energie oder der Ekstase erinnert wird. Auf jeden Fall würde sie als etwas von all den Figurationen einer gewöhnlichen Erfahrung befreites erinnert.

Nehmen wir einmal an, es wäre dem Mystiker möglich, die Einheit dergestalt zu erfahren. In welcher Weise ließe sich diese Einheit mit der vom Physiker postulierten Einheit vergleichen? Ist es nicht möglich, diese Einheit (oder die Erfahrung davon) einfach als eine subjektive (wenngleich erhebende) Erfahrung des Mystikers auszulegen? Läßt sich daraus schließen, daß es eine Einheit (wie die des Bewußtseins, oder worüber der Wissenschaftler auch immer spekulieren mag) im Universum als ganzes gesehen geben mag? Wenn es im wissenschaftlichen Sinne im Universum eine Einheit gibt, dann ist sie nichts, das der Wissenschaftler beobachten kann (denn er muß sich als ihr Beobachter immer außerhalb von ihr befinden). Und wenn sie nicht beobachtet werden kann, dann können wir auch nicht wissen, ob es die Einheit des Universums ist oder nicht.

In Anbetracht dieses Paradoxons kommt es mir so vor, als sei die vom Mystiker bekundete Einheit nicht mit der vom Wissenschaftler erklärten vergleichbar. In der Tat glaube ich, daß die Doppeldeutigkeit des Begriffs 'Einheit' der Haken an der Sache ist. Einheit muß für den Physiker eine konzeptuelle und objektive Einheit bleiben. Und Einheit muß für den Mystiker eine Erfahrung sein, in der es keinen Beobachter gibt, und daher gibt es auch keine Unterscheidung zwischen objektiver Einheit und ihrer subjektiven Erfahrung.

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II

Für U.G. gibt es so etwas wie Realität nicht; was immer unser Denken als Realität konstruiert, ist die einzige Realität, die wir kennen oder die wir kennen können. Die 'Kopenhagener Interpretation' der Quantenmechanik besagt zwar, daß das, war wir kennen, nur unsere Interpretation der Realität ist (einschließlich der Realität des Wissenschaftlers), die Interpretation stellt aber nicht die Realität des Wissenschaftlers in Zweifel, der eine solche Behauptung aufstellt. U.G. sagt im Gegensatz hierzu, daß alle, der Denker, Du, ich, U.G. selbst eingeschlossen, Konstruktionen des Denkens sind. Das ist alles, was wir wissen können. Und diese Idee stimmt mit den allgemeinen Grundsätzen des Mystizismus völlig überein. U.G zieht nur ganz folgerichtig die Konsequenzen aus dieser These.

Die oben gemachten Bemerkungen lassen sich auch auf unser Verständnis der Realität anwenden, die wir als an die Gesetze von Ursache und Wirkung gebunden sehen. Die gegenwärtige Physik mag (durch die Quantenmechanik und Heisenbergs Unschärferelation) unsere Vorstellung von Ursache und Wirkung revidieren. U.G dagegen sieht jeden Versuch, die Ereignisse auf Ursache und Wirkung zu beziehen, ebenso als Teil des Vorhabens zur Verfestigung des Selbst an, wie die Versuche, die Realität zu 'verstehen'. Das Kausalprinzip ist das Mittel des Selbst, die Welt zu kontrollieren und sich so zu behaupten und die eigene Kontinuität beizubehalten. Es ist mehr als nur eine effektive Methode, um in dieser Welt zu überleben und sicher mehr als ein Verfahren, die Ereignisse in Hinblick auf ein Verständnis der 'Realität' zu ordnen.

Für jemanden wie U.G. läßt sich das Forschen der Wissenschaft eher als bloße Technologie erkennen, die diverse Produkte liefert, und nicht als der nicht enden wollende Versuch, die Realität zu verstehen. Die Rechtfertigung der Wissenschaft liegt in den Resultaten, die sie vorzuweisen hat. Abgesehen davon ist sie, nach U.G., nur ein endloses Rotieren zum Zwecke der Selbstverherrlichung des Wissenschaftlers.

U.G. trennt den Wissenschaftler nicht von seiner Wissenschaft. Indem er die Unternehmungen des Wissenschaftlers in Frage stellt, stellt er auch die Person des Wissenschaftlers in Frage, insofern, als er die persönliche Motivation hinter jeder wissenschaftlichen Unternehmung aufdeckt. Genau wie er das auch mit Menschen anderer Schichten und Berufe tut, so versucht er hier das egozentrische Bestreben des Wissenschaftlers hin zur Selbsterhöhung zu durchkreuzen. Er hat in dieser Sache keine eigene positive Lehre - er versucht nur zu zeigen, daß die Anstrengungen des Wissenschaftlers vergeblich sind, und er versucht nicht, diese Lücke mit anderen Vorschlägen zu füllen.

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III

Allgemein gesprochen hat die Religion Probleme damit, die anerkannten Hypothesen (und Implikationen) der Wissenschaft bezüglich der Natur des menschlichen Wesens anzuerkennen. Während die Wissenschaft nicht explizit irgendwelche speziellen Lehren der Religion bestreitet (oder daran interessiert ist, religiöse Behauptungen zu untersuchen), so sind ihre Untersuchungen des menschlichen Wesens auf die physikalischen, biologischen, psychologischen und sozialen oder kulturellen Aspekte des Menschen beschränkt. Die Wissenschaft gibt sich nicht leicht für einen Glauben an irgend etwas anderes her, insbesondere an eine Seele, die den Tod überleben könnte. Dieser - der Glaube an eine Seele - scheint für die meisten Religionen aus einem einfachen Grund wesentlich zu sein: neben der Bindung an einen Glauben an ein übernatürliches Wesen ist die Religion auch einem Glauben an die persönliche Moralität mit ihren Implikationen von persönlicher Sünde und Erlösung verpflichtet. Ohne die Vorstellung einer Errettung oder Befreiung und einem seligem Zustand, der damit assoziiert wird, fände die Religion wahrscheinlich wenig Anklang. Diese Vorstellungen von Erlösung und Befreiung, von Himmel und Nirvana, müssen mit den entgegengesetzten Auffassungen von Sünde und Knechtschaft oder einem Leidenszustand (den der Mensch verursacht hat und aus dem er errettet werden soll), in eine Wechselbeziehung gebracht werden.

Der Wissenschaft widerstrebt im allgemeinen die Vorstellung, daß es im menschlichen Wesen eine Seele oberhalb und jenseits des Körpers und seiner Strukturen geben könnte, eine Entität, die den Tod des Körpers überlebt; das geschieht aus dem einfachen Grund, weil Wissenschaftler es sich nicht vorstellen können, daß es ein Gedächtnis oder Persönlichkeitszüge gäbe, die ohne die Hilfe des Gehirns oder des Körpers existieren könnten. Was auch immer psychologisch (oder spirituell) im Menschen ist, es muß so erscheinen, als sei es im Physischen verwurzelt. Schließlich ist die Physik ja die grundlegendste aller Wissenschaften.

Rupert Sheldrake ist nun einer der wenigen zeitgenössischen Wissenschaftler, die behaupten, daß solch ein Überleben von etwas, das über den Körper hinausgeht, auf Grund der Tatsache möglich ist, daß das Gedächtnis auch ohne die Unterstützung des Gehirns existieren kann. (Und David Bohm stimmt mit ihm darin überein.) Sheldrake argumentiert, daß man, nur weil wir kein Gedächtnis ohne das Gehirn kennen, daraus doch nicht folgern kann, daß es kein Gedächtnis außerhalb des Gehirns geben könnte. Vielleicht kann das Gehirn als ein Leiter dienen, mittels dessen sich das Gedächtnis (oder das Bewußtsein) manifestiert, ähnlich wie eine Antenne und die Schaltkreise in einem Radio als Leiter für die elektromagnetischen Wellen dienen, um sie als Ton zu manifestieren. Gerade so, wie das Radiosignal (in Form von elektromagnetischen Wellen) außerhalb des Radios mit seiner Antenne und seinen Schaltkreisen existieren kann, so kann das Gedächtnis dies auch außerhalb des Gehirns tun.

Es ist klar, daß Sheldrake von einer vitalistischen Ausrichtung der Biologie her kommt, die von der Mehrheit der Biologen nicht geteilt wird. Sie glauben, daß seine Behauptungen unter der wissenschaftlichen Methodik nicht tragbar sind und daß Hypothesen wie die Sheldrakes bloße Mutmaßungen ohne vorhersagbaren Wert sind. Sheldrake selbst bestreitet dies. Er denkt, daß seine "Hypothese einer formbildenden Verursachung (seine morphogenetische Feldtheorie) sich im Rahmen der Naturwissenschaften bewegt, der Methodologie der Naturwissenschaft genügt und wissenschaftlich bestätigt oder widerlegt werden kann." (Weber, S. 140).

Lassen Sie uns diese Auffassungen mit denen von U.G. vergleichen, insbesondere mit seinen Ansichten über das Gedächtnis und das Bewußtsein.

U.G. sagt, daß das Gedächtnis nicht notwendigerweise im Gehirn lokalisiert ist: Man sagt, daß das Gedächtnis in den Neuronen läge. Wenn alles in den Neuronen liegt, wo in ihnen ist es dann? Das Gehirn scheint nicht das Zentrum des Gedächtnisses zu sein. Die Zellen scheinen ihr eigenes Erinnerungsvermögen zu besitzen. Wo ist dieses Gedächtnis also? Wird es durch die Gene übertragen? Ich weiß es wirklich nicht. Auf einige dieser Fragen gibt es bis heute keine Antworten. Wahrscheinlich werden sie es irgendwann einmal herausfinden. (NWO, S. 161).

Den Gesprächen mit U.G. können wir entnehmen, daß für ihn das Denken in etwa mit dem Gedächtnis verwandt ist. Denken, Gedächtnis und Wissen sind die Methoden, mittels denen unsere vergangene Erfahrung auf den gegenwärtigen 'Input' einwirkt, indem sie Daten erkennt, interpretiert und vergleicht. Diese Vorgänge schaffen unser Zeitempfinden und unsere Wahrnehmung des 'Selbst'. Wenn wir die Frage stellen: "Woher kommen Gedächtnis und Denken?" antwortet U.G. folgendermaßen: Woher kommen die Gedanken? Kommen sie von außen oder von innen? Wo ist der Sitz des menschlichen Bewußtseins? Zum Zwecke der Kommunikation oder auch nur, um Ihnen ein Gefühl dafür zu vermitteln, sage ich, daß es da eine 'Gedankensphäre' gibt. In dieser 'Gedankensphäre' leben wir alle, und wahrscheinlich hat jeder von uns eine 'Antenne' oder so etwas, die von der Kultur geschaffen wird, in die wir hineingeboren werden. Sie empfängt die 'eigenen' Gedanken des Einzelnen. (ME, Teil IV, S. 7).
U.G. scheint uns darauf aufmerksam zu machen, daß die Wissenschaft nicht imstande sein mag, das Bewußtsein oder das Feld, aus dem diese Gedanken oder Erinnerungen hervorgehen, zu erforschen: Dabei gibt es eine Frage, auf die wir nur eine ungenügende Antwort haben: "Wie wird das von einer Generation auf die nächste übertragen?" Das ist wirklich ein Geheimnis. Alle Erfahrungen - und nicht nur die, die Sie während Ihrer Lebenszeit von vielleicht dreißig, vierzig oder fünfzig Jahren gemacht haben, sondern auch das tierische und das pflanzliche Bewußtsein, ebenso das der Vögel - all das ist Teil dieses Bewußtseins. (Es ist nicht so, daß es da eine Entität gäbe, die reinkarnieren würde; die gibt es nicht: die ganze Geschichte mit der Reinkarnation ist absurd, wenn Sie mich fragen.) Daher kommt es, daß Sie in Ihren Träumen wie ein Vogel fliegen können..... Wie es vermittelt wird, weiß ich nicht, ich kann es nicht sagen, ich bin nicht kompetent. Aber es scheint doch irgendwelche Transportmittel zu geben...... die viel mehr sind als genetisch; das Genetische ist nur ein Teil davon. Das Bewußtsein stellt einen mächtigen Faktor im Erleben dar, aber es ist niemandem möglich, den Umfang des Ganzen herauszufinden - denn der ist unermeßlich. (ME, IV, S. 9).
Über das phylogenetische Gedächtnis sagt U.G.: Ich vermag keine definitive Feststellung darüber zu treffen, welche Rolle die Gene im evolutionären Prozeß spielen, aber momentan scheint es so zu sein, daß Darwin zumindest teilweise nicht recht hatte, als er darauf bestand, daß erworbene Eigenschaften nicht genetisch übertragen werden könnten. Ich denke, daß sie auf irgendeine Weise übertragen werden. Ich bin nicht kompetent genug, um zu sagen, ob die Gene bei dieser Übertragung irgendeine Rolle spielen. (NWO; S. 171).
Zwischen Sheldrakes morphogenetischem Feld und U.G.s Bewußtseinsfeld, von dem das menschliche Bewußtsein ein Teil ist, scheint es eine Parallelität zu geben. Als Individuen und von der Rasse her gesehen scheinen wir uns auf dieses Feld 'einzustimmen'. Natürlich sind sich weder Sheldrake noch U.G. darüber im klaren, wie das vonstatten geht. U.G. überläßt die Sache (wie auch der Dalai Lama) den Wissenschaftlern, obwohl er skeptisch ist, daß es ihnen jemals möglich sein wird, das Bewußtsein als solches zu erforschen. Sheldrake, der selbst ein Wissenschaftler ist, hofft, daß seine Theorien eines Tages durch experimentelle Methoden verifiziert werden können. Aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt gibt es weder für Sheldrake noch für U.G. irgendeine Bestätigung von Seiten der Wissenschaft, und ihre Ansichten bleiben als solche spekulativ. U.G. mag sich seiner Vorstellungen sicherer sein als Sheldrake, für sein Publikum hingegen bleibt die Richtigkeit seiner Aussagen ebenso spekulativ wie die Sheldrakes. 

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IV

Während U.G. all unsere Bemühungen, das menschliche Bewußtsein zu verstehen, zunichte macht, beschreibt er zur gleichen Zeit die Art und Weise, in der er funktioniert und was mit ihm in einem gedankenlosen Zustand geschieht. Diese Beschreibungen stellen eine Herausforderung für die Wissenschaft dar. Es ist nicht so, daß er es zuließe, daß die Wissenschaftler ihn untersuchen. (Manchmal erlaubt er es, aber das kommt auf den Wissenschaftler an, mit dem er gerade spricht): Es gibt keine Personen, und es gibt keinen Raum im Innern, um ein Selbst zu schaffen. Was bleibt, nachdem die Kontinuität des Denkens verflogen ist, ist eine zusammenhangslose, unabhängige Serie von Wechselwirkungen. Was in meiner Umgebung geschieht, geschieht in mir. Es gibt keine Trennung. Wenn die Panzerung, mit der man sich umgeben hat, demontiert wird, findet man eine außergewöhnliche Sensibilität der Sinne, die auf die Phasen des Mondes, den Lauf der Jahreszeiten und die Bewegungen der anderen Planeten reagieren. Es gibt einfach keine isolierte, getrennte eigenständige Existenz mehr, nur noch das Pulsieren des Lebens. (MM, S. 145). Er [der Todesprozeß] entzieht sich jeder Beschreibung. Ich kann nur sagen, daß in diesem Todeszustand der gewöhnliche Atem vollkommen aufhört und daß der Körper imstande ist, auf eine andere physiologische Weise zu 'atmen'. Unter den vielen Ärzten, mit denen ich dieses seltsame Phänomen besprochen habe, konnte mir nur Dr. Leboyer, ein Experte der Geburtshilfe, eine Art Erklärung geben. Er sagte, daß neugeborene Babys auf eine ähnliche Weise atmen. Wahrscheinlich ist es das, was das ursprüngliche Wort 'Pranayama' bedeutet. Dieser Körper macht diesen Todesprozeß täglich durch, in der Tat so oft, daß er jedesmal, wenn er sich erneuert, eine weitere Lebensfrist erhält. Wenn er sich eines Tages nicht mehr erneuern kann, ist er am Ende und wird auf den Aschenhaufen gekarrt. (MM, S. 145). ...Nachdem Atem und Herzschlag fast völlig aufgehört haben, fängt der Körper irgendwie an 'zurückzukommen'. Das leichenhafte Aussehen des Körpers - die Steifheit, Kälte und der Aschenüberzug - verschwinden langsam wieder. Der Körper erwärmt sich und beginnt sich zu bewegen, und der Metabolismus, einschließlich des Pulses, erholt sich wieder. Wenn Sie mich aus wissenschaftlicher Neugier heraus testen wollen - ich habe kein Interesse daran. Ich treffe ganz einfach eine Feststellung, und ich verkaufe keine Ware. (MM, S. 146). Dieser ganze Prozeß des Sterbens und der Erneuerung ist für mich, obwohl es mehrmals am Tage und immer ohne meinen Willen vor sich geht, nach wie vor sehr faszinierend. Sogar die Vorstellung von Selbst und Ego wurde vernichtet. Und doch ist da etwas, was diesen Tod erfährt, denn sonst wäre ich nicht imstande, ihn zu beschreiben. (MM S.146). Wenn die trennende Denkstruktur stirbt, übernehmen diese Drüsen und Nervengeflechte das Funktionieren des Organismus. Das ist ein schmerzhafter Vorgang, denn die Macht, die das Denken über die Drüsen und Geflechte ausübt, ist stark und muß 'verbrannt' werden. Das kann vom Einzelnen beobachtet werden. Das Verbrennen, oder die 'Ionisation', bedarf der Energie und des Raumes. Dadurch werden die körperlichen Grenzen erreicht, und Energie schießt in alle Richtungen. Die Eindämmung dieser Energie in begrenzter Form durch den Körper verursacht Schmerzen, obwohl es dort keinen Erlebenden dieser Schmerzen gibt. (MM S. 147). Dieser schmerzhafte Sterbevorgang ist etwas, das niemand - nicht einmal der glühendste religiöse Praktiker und Yogi - will. Er ist eine sehr schmerzhafte Angelegenheit. Er entsteht nicht aus einer Willensentscheidung heraus, sondern ist das Ergebnis eines zufälligen Zusammentreffens von Atomen. (MM S. 148). Wie sich all das in Ihre wissenschaftliche Struktur einfügen läßt, weiß ich nicht. Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet arbeiten, interessieren sich für diese Veränderungen, wenn sie in physiologischen anstatt in mystischen Begriffen beschrieben werden. Diese Wissenschaftler stellen sich vor, daß solch ein Mensch das Endprodukt der menschlichen Evolution ist, nicht der Science-fiction-Superman oder irgendein superspirituelles Wesen. Die Natur ist nur daran interessiert, einen Organismus zu schaffen, der voll und ganz und intelligent auf Stimuli reagiert und der sich fortpflanzt. Das ist alles. Dieser Körper ist außerordentlicher Wahrnehmungen und Sinnesempfindungen fähig. Er ist ein Wunder. Ich weiß nicht, wer ihn geschaffen hat. (MM, S. 148). Die Wissenschaftler, die auf dem Gebiet der Evolutionsforschung tätig sind, glauben nun, daß sich die heutige Menschheit wahrscheinlich aus einer degenerierten Spezies heraus entwickelt hat. Die Mutation, die das Selbstbewußtsein weitergegeben hat, muß in einer degenerierten Spezies entstanden sein. Deshalb ruinieren sie alles. Es bleibt jedem selbst überlassen, ob er daran glaubt, daß irgend jemand das Ganze ändern könnte. (MM, S. 148).

Weiter sagt U.G. darüber, wie er ohne die Vorherrschaft des Denkens funktioniert: Dann werden die Sinne zu ganz wichtigen Faktoren; sie fangen ohne das Dazwischentreten des Denkens (außer wenn dafür ein Bedarf besteht) an, mit optimaler Kapazität zu funktionieren. Es kommt auf die Erfordernisse der Situation an. Hier muß ich eines ganz klarstellen: Das Denken fängt nicht von alleine an; es kommt immer erst dann zum Einsatz, wenn es erforderlich ist. Es kommt auf die Erfordernisse der Situation an: ist eine Situation gegeben, in der Denken erforderlich ist, dann ist es da, und sonst nicht. Es ist wie der Stift, den Sie da benutzen. Sie können damit ein wunderschönes Stück Poesie schreiben oder einen Scheck fälschen oder sonst etwas. Er ist da, wenn er gebraucht wird. Die Gedanken dienen nur dem Zwecke der Kommunikation, ansonsten haben sie überhaupt keinen Wert. Sie werden dann nur noch durch Ihre Sinne geleitet und nicht von den Gedanken. (ME, IV, S. 11).
Die Art und Weise, in der U.G. funktioniert, ist die eines natürlichen, lebendigen Organismus ohne die 'Umklammerung' des Denkens - er funktioniert effizient, von einem Augenblick zum andern und ohne einen Zwang zu verspüren, etwas anderes zu sein oder etwas anderes zu tun als das, was er gerade tut. Er erklärt, wie in ihm in jedem Augenblick der Aufmerksamkeit zur gleichen Zeit Chaos und Ordnung herrschen; wie seine visuelle Wahrnehmung zweidimensional ist; wie ein Bild dessen, was geschieht durch ein anderes ersetzt wird, das davon vollkommen losgelöst ist, sobald etwas anderes in der Umgebung seine Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt; wie es kein Verbindungsglied zwischen den Ereignissen gibt; wie die Musik ein bloßes 'Geräusch' sein kann; wie, wenn es die Gelegenheit erforderlich werden läßt, alles relevante Wissen zur Anwendung kommt, und wie er, wenn dieses Erfordernis nicht mehr besteht, sich wieder im 'bedeutungslosen' oder gedankenlosen Zustand befindet.
 

Es gibt für andere Menschen keine Möglichkeit, all das zu verstehen. Um zu versuchen, es zu verstehen, müßte man es als Information in den eigenen mentalen und konzeptuellen Rahmen einfügen, und dann würde sich immerzu die Frage stellen, ob diese Information den eigenen Erfahrungen, Vorurteilen und Erwartungen (an sich selbst und sein Leben) entspringt. Oder man könnte wie U.G. leben; in diesem Falle gäbe es nichts zu verstehen, da das Bedürfnis zu verstehen verschwunden wäre.

U.G. macht einige erstaunliche Aussagen über Genetik, Wiedergeburt, Krankheiten und so weiter. Einige dieser Behauptungen scheinen kaum einen Sinn zu machen, weil unsere heutige Wissenschaft auf diesen Gebieten noch keine Forschungen angestellt hat, oder sie mögen falsch klingen, weil die Wissenschaft manchmal mit ihnen in Konflikt zu liegen scheint. Beispiele solcher Aussagen sind:
 

"Für diejenigen, die glauben, daß es so etwas wie Wiedergeburt gäbe, gibt es die Wiedergeburt, und für diejenigen, die nicht daran glauben, gibt es sie nicht. 'Objektiv gesehen' gibt es jedoch keine Wiedergeburt - was ist denn da, um wiedergeboren zu werden?"

"Alle chronischen Krankheiten sind genetisch bedingt" - hier scheint er an eine Art physiologisches Karma zu glauben - "es gibt nichts, das sich dagegen tun ließe, außer sie zu ertragen und, wenn nötig, zeitweise palliativ zu behandeln."

"Um Schmerz zu fühlen, muß man eine (momentane) Empfindung mittels des Gedächtnisses und des Denkens mit einer anderen verbinden. Schmerz ist für den Heilungsprozeß unabdingbar - wenn man ihn geschehen läßt, wird der Körper den Weg finden, ihn zu absorbieren und zu integrieren."

"Der Körper stirbt nicht; er wird nur wiederverwertet - unser (nichtexistentes) Selbst ist das einzige, das stirbt. Wenn man den Körper sich selbst überläßt, ohne ihn dem Einfluß des Denkens auszusetzen, funktioniert er äußerst empfindsam, effizient und absolut friedlich."

"Wir wollen nicht frei sein von unseren Problemen, denn das würde bedeuten, daß wir selbst zum Ende kämen."
 

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V

Die Frage, die sich dem Leser sofort stellt, wenn er obige Erörterungen über U.G. liest, ist: woher weiß U.G. das, was er über sich (und seinen gedankenlosen Zustand) sagt? Normalerweise und in der Praxis scheint er sein Wissen und Denken wie jeder andere anzuwenden. Entweder ist er in seinem gedankenlosen Zustand und weiß es nicht, oder er kennt seinen gedankenlosen Zustand, und er befindet sich nicht in ihm.

In ME (Teil II, S. 2) beschreibt U.G. seinen Zustand als einen des 'Nichtwissens'; Wissen kommt erst dann ins Spiel, wenn ein Bedarf danach besteht. Wenn dieses Bedürfnis erfüllt ist, dann ist man zurück im Zustand des Nichtwissens. Schon auf der nächsten Seite spricht U.G. von dem "ungeheuren Frieden, der immer in einem ist, das ist der natürliche Zustand" und sagt: ..."er ist seiner Natur nach vulkanisch; es brodelt die ganze Zeit - die Energie, das Leben, das sind seine Eigenschaften". Dann fragt U.G.: "Sie werden fragen, woher ich das weiß: ich weiß es nicht. Das Leben ist sich seiner selbst gewahr, wenn wir es so ausdrücken können - es ist sich seiner selbst bewußt." Heute würde U.G. diesen Gedanken etwas anders formulieren, er würde sagen: Wissen und Nichtwissen existieren in einem 'Rahmen'.

Sehen wir uns den 'ungeheuren Frieden' an: wenn wir das Wort 'Einheit' durch das Wort 'Frieden' ersetzen, bemerken wir sofort das Parodoxon: auf der einen Seite können wir 'Einheit' nicht erfahren, denn sie zu erfahren, hieße, sie zu erkennen, und das ist nur möglich, wenn dort eine Dualität oder eine Teilung besteht. Auf der anderen Seite, wenn man eine Aussage macht, daß dort Einheit (oder Frieden, im obigen Kontext) bestünde, heißt das, sie zu kennen. Wie läßt sich dieses Paradoxon verstehen?

Ich glaube, wenn ein Mensch aus der 'Umklammerung' des Denkens befreit ist, dann existiert diese Person (oder das Subjekt) nicht mehr als eine kontinuierliche Entität. Nicht, daß es die Entität wirklich jemals zuvor gegeben hätte - nur die Illusion darüber bestand. Nun, da es die Illusion nicht mehr gibt, kommt das Wissen für einen Augenblick zur Anwendung, reagiert auf die Anforderungen der Situation und begibt sich daraufhin unmittelbar und automatisch wieder in den Hintergrund.(5) Wenn U.G. die Fragen seiner Zuhörer beantwortet, so tut er das mit Worten. Die Zuhörer neigen dazu, diesen Worten einen Sinn zu verleihen und sind versucht, dazu die gleichen Regeln der Logik anzuwenden, wie sie auch normalerweise in Diskursen gelten. Aber da es in jemandem wie U.G. keine 'Person' gibt, gibt es auch keine Aufteilung (oder ein Gefühl der Trennung) in ihm; und welche 'Einheit' da auch ist, sie bringt sich ohne die normale Logik des 'Bewußtseins' oder der 'Erfahrung' zum Ausdruck. Sogar U.G.s Entgegnungen auf unsere Fragen haben für ihn keine Bedeutung. Es ist nicht so, daß sie sinnlos wären. Da gibt es keine Bewußtheit von 'Trennung' oder von etwas (oder jemandem), das von ihm getrennt wäre. Daher wäre es nicht angemessen, die Aussagen U.G.s als 'Wissen' zu bezeichnen, zumindest nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes. Bedeutungen, Musik, Töne, Worte, Gegenstände und so weiter, erscheinen für einen Augenblick, um dann im nächsten Augenblick (oder im gleichen 'Rahmen') in den Hintergrund zu treten und lediglich zu einem Geräusch, einem zweidimensionalen Raum, zu Irritationen oder 'Klecksen' zu werden. Wir dagegen interpretieren die 'Geräusche', die von U.G. kommen, als bedeutungsvoll und versuchen, auf die von ihm kommenden Behauptungen Wahrheitswerte anzuwenden. Für U.G. dagegen haben diese Ideen keine 'Bedeutung' oder Wahrheit oder Falschheit.

Wenn so das Leben eines Menschen wäre, der frei ist von Denken und Selbst, dann könnten wir sagen, es ist in einem Zustand der 'Einheit', aber es gibt niemanden, der diese Einheit erkennen oder erfahren kann, noch gibt es ein Wissen oder eine Erfahrung darüber im üblichen Sinne dieser Begriffe. U.G. versucht dieses Leben in einer Manier auszudrücken, die ihm eigen ist. Für seine Zuhörer jedoch, die alles, was sie hören, mit ihren normalen Maßstäben von Subjekt-Objekt und Bedeutung-Objekt Dichotomien messen, muß solch ein Leben ein Geheimnis bleiben.

An diesem Punkt sind U.G.s Zuhörer versucht zu fragen: "Wie sollen wir solche offenbar unsinnigen Äußerungen von U.G. verstehen? Warum sollten wir überhaupt an diesen 'Nichtaussagen' interessiert sein? Warum sollen wir U.G. oder seinen Lehren unsere Aufmerksamkeit widmen, wenn wir dies damit erkaufen müssen, die Zeugnisse der vielen Mystiker zu mißachten, die von sich behaupten, sie besäßen ein Wissen (oder zumindest eine Erfahrung) der Einheit?"

Ich glaube, daß die Antwort auf diese Fragen in der erkenntnistheoretischen Herausforderung (s. S. 8) liegt, die U.G. sowohl für den Mystiker als auch für den Wissenschaftler darstellt. Wenn man die Kritik, die er an Mystizismus und Wissenschaft übt, auf seine eigenen Aussagen ausdehnt, werden wir in der Tat auf einige Rätsel stoßen. Aber was ist, wenn obiges die einzig mögliche Weise ist, in der ein Mensch, der sich in einem ungeteilten Zustand befindet, lebt, und wenn die traditionellen Mystiker diese Implikationen nicht immer erkannt haben?(6) Obwohl U.G.s Äußerungen für ihn keinen Sinn ergeben, (es ist auch nicht so, daß sie unsinnig wären), so können seine Zuhörer doch nichts anderes tun, als zu versuchen einen Sinn darin zu finden, denn sie gebrauchen die Tätigkeit der Sinngebung als Teil des Projekts, ihr Selbst zu bilden, in dem Sinne, daß sie seine Aussagen auf ein Vorhaben (ein epistemologisches, spirituelles oder ein anderes persönliches Vorhaben) beziehen. Dagegen kann U.G. in dieser Welt tätig sein, ohne in die Zweiteilung von Sinn und Unsinn fallen zu müssen. Uns scheint er wie jeder andere Mann zu sein, der lebt und in dieser Welt weitermacht. U.G. hingegen hat keinen Sinn dafür, wer er ist. Er hat keine Konzeption und kein Bild von sich selbst, und es stellt sich für ihn nicht einmal die Frage, ob er lebendig oder nicht-lebendig ist. Er mag unsere Fragen für einen Moment mit Gegen-Tönen oder stimmlichen Äußerungen beantworten. Das Problem, ihnen Sinn zu verleihen, ihnen Wahrheit oder Falschheit zuzuordnen oder nach Tatsachen 'hinter' diesen Worten zu suchen, ist unser Problem und nicht seines.

Sollen wir also in Anbetracht obiger Erörterung sagen, daß U.G.s gedankenloser Zustand ein Zustand des Erlebens der Einheit des Universums ist? Da U.G. in gewissem Sinne nicht als eine kontinuierliche Person (Subjekt, Selbst) existiert, kann es auch kein Wissen (das ein temporaler 'Geisteszustand' ist) solch einer Einheit geben; und in einem solchen Menschen gibt es keine Bewußtheit von weder Einheit noch ihrem Gegenteil, nämlich Uneinheit und Trennung. Einheit und Trennung sind Begriffe, die eine Kontinuität im Bewußtsein voraussetzen. Für U.G.s Zuhörer hingegen muß jedwede solche Einheit nur ein Begriff bleiben, denn sie werden niemals auf eine andere Weise als in der einer Vorstellung, die immer auch ihr Gegenteil bedingt, wissen können, was in U.G. ist. Zum Beispiel könnten die Zuhörer versucht sein zu theoretisieren, daß U.G., wenn er sich in einem gedankenlosen Zustand befindet, Einheit erlebt und daß, wenn dieser Zustand zeitweise gestört wird, dort Uneinheit und Trennung herrschten. Wie aber könnten sie den Wahrheitsgehalt solcher Aussagen feststellen?
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J.S.R.L. Narayana Moorty
Department of Philosophy
Monterey Peninsula College
Monterey, CA 93940

Bitte senden Sie eventuelle Kommentare an:

moorty@pacbell.net

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Fußnoten:


 

1. "...ein Supra-Informationsfeld des gesamten Universums, eine supra-implizite Ordnung, welche die erste Ebene in einzelne Strukturen aufgliedert und eine enorme Entwicklung von Strukturen erlaubt." (Bohm in Weber, S. 66).

2. "Die Theorie des morphogenetischen Feldes besagt, daß es ein Feld oder eine Raumstruktur gibt, die für die Formentwicklung (in sich entwickelnden Organismen) verantwortlich ist." (Weber, S. 126).

3. Wir erfahren das bei Kant, wenn er aufzeigt, wie die Vernunft Paradoxa erzeugt, wenn sie auf das Universum oder die Seele jenseits der Grenzen möglicher Erfahrung Anwendung findet - Paradoxa so wie dieses, daß das Universum eine unkonditionierte Kondition oder erste Ursache besäße und daß es eine Ursache für diese Ursache geben müsse.

4. Über U.G.s 'Sterbe'prozeß s. ff.

5. Sogar der Gebrauch des Wortes 'Wissen' ist in diesem Zusammenhang irreführend. Wissen setzt in unserem gewöhnlichen Leben eine Kontinuität im Selbst solcherart voraus, daß wir sagen können: "Ich wußte es damals nicht, aber ich weiß es jetzt." Eine solche Kontinuität gibt es im Falle von U.G. nicht. Und doch kommt U.G.s Wissen oder seine vergangenen Erfahrungen hier zur Anwendung. Aber das Wissen ist nur für den Augenblick wirksam, ohne daß es mit einem Bezugspunkt oder einem Vorhaben des Selbst in Zusammenhang gebracht wird, ähnlich wie wir unsere Wünsche und Pläne auf der Basis solchen Wissens formulieren oder die Wiederholung der gegenwärtigen Erfahrung suchen, die als eine solche wiedererkannt wird.

6. Einige Mystiker haben die Probleme der Ausdrucksweise erkannt. Nach meiner Meinung ahnten Shankara, Nagarjuna und Tschuang-Tse diese Probleme und griffen zur dialektischen Vernunft, um 'den Weg zu weisen' hin zu einer 'Erfahrung der Realität', ohne ihren Aussagen positiven verbalen Ausdruck verleihen zu müssen, der als eine Darstellung einer Realitätserfahrung gesehen werden könnte.

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Bibliographie und Referenzen

(Die Abkürzung von U.G.s Werken, auf die im Text verwiesen wird, sind weiter unten angegeben.)

1. Sheldrake, Rupert, in Doore, Gary (Ed.): What Survives? Tarcher, Los Angeles, 1990.

2. Krishnamurti, U.G.: Mind is a Myth, Dinesh Publications, Goa, 1988. (MM).

3. _____________: Die Mystique der Erleuchtung. (ME).

4. _____________: No Way Out. Akshaya Mudrana, Bangalore, Indien 1992. ( NWO).

5. Weber, Renée: Wissenschaftler und Weise, Gespräche über die Einheit des Seins, Rowohlt, Hamburg, 1992.