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Nichtwissen ist Ihr natürlicher Zustand

Aus Ihren früheren Reden wird deutlich, daß der Mensch ein verkehrtes Verhältnis zu seinem Wissen über sich und der Welt hat. Was genau verstehen Sie denn unter ‘Wissen’?

Wissen ist nichts Geheimnisvolles oder Abstraktes. Ich sehe den Tisch und frage mich: „Was ist das?“ Das tun Sie auch. Wissen bedeutet nur, den Dingen einen Namen zu geben. Es sagt Ihnen, daß das ein ‘Tisch’ ist, oder daß ich ‘glücklich bin’ oder ‘unglücklich’, daß ‘Sie ein erleuchteter Mensch sind, und ich nicht’. Ist denn Denken mehr als das?

Das Wissen, das Sie über die Welt besitzen, schafft die Objekte, die Sie erfahren. Die tatsächliche Existenz oder Nichtexistenz von etwas ‘da draußen’ in der Welt ist nichts, das Sie für sich selbst bestimmen oder erfahren könnten, es sei denn, Sie nehmen Ihr Wissen zu Hilfe. Und dieses Wissen gehört nicht Ihnen; es ist etwas, das Sie und Ihre Vorfahren über eine lange Zeit hinweg angehäuft haben. Was Sie als ‘Wissensakt’ bezeichnen, ist nichts anderes als dieses angehäufte Gedächtnis. Sie haben persönlich zu diesem Wissen beigetragen und es modifiziert, aber eigentlich gehört es Ihnen überhaupt nicht.

In Ihnen ist nichts als die Gesamtheit dieses Wissens, das Sie angehäuft haben. Das sind Sie. Sie können nicht einmal die Welt, in der Sie leben, direkt erfahren, und noch viel weniger eine Welt jenseits davon. Es gibt keine Welt jenseits von Raum und Zeit. Sie ist nur Ihre Erfindung und basiert auf den vagen Versprechungen des geistlichen Standes. Unser Wertempfinden entspringt der Welt, so wie Sie uns auferlegt wurde. Wir müssen die Welt akzeptieren.

Unser Glaubenssystem basiert demnach auch auf diesem Gedächtnis...?

Es ist auch nicht so, daß der Glaube eine Abstraktion wäre. Er ist eine Erweiterung des Überlebensmechanismus, der seit Millionen von Jahren wirksam ist. Mit dem Glauben ist es wie mit jeder anderen Angewohnheit auch: Je mehr Sie versuchen, sie zu kontrollieren und zu unterdrücken, desto stärker wird sie. Aus Ihrer Frage läßt sich schließen, daß Sie sich von etwas befreien wollen; in diesem Falle ist es der Glaube. Zunächst einmal, warum wollen Sie denn frei davon sein? Was immer Sie tun oder hoffen tun zu können, um sich davon zu befreien, verleiht ihm nur neuen Antrieb. Alles, was Sie tun ist vollkommen wertlos. Warum ist dies zu einem Problem für Sie geworden? Sie sind nicht in der Lage, das, was ich sage, abzulehnen oder zu akzeptieren. Sie haben wahrscheinlich eine Art von System ausprobiert, um Ihre Gedanken und Überzeugungen zu kontrollieren, und das hat nicht funktioniert. Das Wiederholen von Mantras, die Yogaübungen und Gebete haben nicht geholfen. Aus irgendwelchen Gründen waren Sie nicht imstande, Ihre Gedanken zu kontrollieren.

Aber das Wiederholen von Mantras und andere fromme Techniken scheinen doch wirklich das Denken ruhiger zu machen...

Sie können Ihre Gedanken noch nicht einmal beobachten, geschweige denn kontrollieren. Wie sollte es Ihnen denn möglich sein, Ihre Gedanken zu beobachten? Sie reden, als gäbe es in Ihnen eine Wesenheit, die von den Gedanken getrennt ist. Das ist eine Illusion. Ihre Gedanken sind nicht getrennt von Ihnen. Es gibt keinen Denker. Das Denken kann Ihnen keinen Schaden zufügen. Ihre trennende Struktur, die versucht das Denken zu kontrollieren, zu dominieren, zu zensieren und zu benutzen, ist das eigentliche Problem. Das Denken selbst kann keinen Schaden anrichten. Nur wenn Sie etwas mit dem Denken tun wollen, schaffen Sie sich die Probleme.

Es kommt mir so vor, als würden mir dadurch, daß ich Ihnen zuhöre, Probleme entstehen.

Sie sagen, Sie würden zuhören. Selbst während ich spreche, hören Sie auf gar nichts. Sie hören mir nicht zu, Sie hören nur auf Ihre eigenen Gedanken. Darüber mache ich mir keinerlei Illusionen. Sie können weder mir noch sonst jemandem zuhören. Es ist vergeblich, mich davon überzeugen zu wollen, daß Sie aufmerksam und interessiert zuhörten. Ich bin kein Narr.

Für mich ist es nicht so offensichtlich, daß ich Ihnen nicht zuhören würde. Es scheint doch so zu sein, daß ich Ihnen zuhöre und gleichzeitig über das, was Sie sagen, nachdenke. Ist das denn nicht möglich?

Es ist unmöglich. Für Sie gibt es nur eine mögliche Handlung: Denken. Das Hervorbringen der Gedanken selbst ist Handeln. Der Denker, der sagt, er würde Ursache und Wirkung betrachten, ist selbst Denken. Das Denken schafft den Abstand zwischen dem Denker und seinen Gedanken und sagt dann zu sich selbst: „Ich betrachte meine Gedanken“. Ist das möglich? Vergessen Sie dabei, was in der Vergangenheit geschehen ist, und versuchen Sie, genau in diesem Moment, Ihre Gedanken anzusehen. Ich bitte Sie etwas zu tun, das ganz einfach ist. Wenn Sie mir sagen können, wie man es anstellt, die Gedanken zu betrachten, dann möchte ich Ihr Schüler werden. Ich wäre Ihnen äußerst dankbar. Anstatt das Denken zu betrachten, konzentrieren Sie sich auf mich. Wenn Sie einen Mantra wiederholen, so sind das Gedanken. Die Wiederholung des Mantras  ist ein weiterer Gedanke. Die Idee, daß es diesen wiederholten Gedanken nicht gelungen ist, den Zustand hervorzurufen, den Sie gerne hätten, ist noch ein Gedanke. Die Idee, daß Sie einen neuen Mantra finden müßten oder eine Übung, die wirklich funktioniert, ist ein weiterer Gedanke. Sagen Sie mir, ist Denken etwas anderes als das?

Aber alle Religionen haben betont, wie wichtig es sei, unerwünschte Gedanken zu unterdrücken und zu kontrollieren. Sonst würden wir uns doch auf eine Ebene mit den Tieren begeben.

Wir sind über die Jahrhunderte hinweg dieser Gehirnwäsche durch die Geistlichkeit unterzogen worden, die uns sagten, daß wir unsere Gedanken zu kontrollieren hätten. Ohne Denken würde man zu einem Leichnam werden. Ohne das Denken stünde den heiligen Männern kein Mittel zur Verfügung, um uns zu sagen, daß wir unsere Gedanken kontrollieren sollten. Sie würden pleite gehen. Sie sind dadurch reich geworden, daß sie den anderen sagten, sie müßten ihre Gedanken kontrollieren.

Aber es gibt doch sicherlich qualitative Unterschiede in der Art und Weise, wie die Gedanken kontrolliert werden.

Sie haben diese Unterscheidungen willkürlich getroffen. Denken ist Teil des Lebens, und Leben ist Energie. Ob Sie ein Glas Bier trinken oder eine Zigarette rauchen, es ist genau das gleiche wie Gebete, fromme Worte und die Schriften zu rezitieren. In die Kneipe oder in die Kirche zu gehen ist dasselbe - ein schneller Fix. Sie weisen den Gebeten und Kirchen aus keinem anderen Grund eine besondere Bedeutung zu als dem, daß dies Ihre vorgefaßte Meinung ist und es Sie jenen gegenüber, die Kneipen und Bordelle frequentieren, überlegen erscheinen läßt.

Also ist das alles ein Versuch, auf irgendeine Art meine Konditionierung zu ändern oder zu modifizieren...

Konditionierung ist Tradition. Das Sanskritwort dafür ist Samskara. Tradition ist das, was Sie sind - was Sie ‘Ich’ nennen. Gleichgültig, in welchem Maße Sie diese auch zu modifizieren suchen, so dauert sie doch an. Alles im Leben ist nur temporär, und Ihre Bemühungen, der Konditionierung - die auf dem Denken basiert - Kontinuität zu verleihen, sind ihrer Natur nach pathologisch. Sie behandeln das Psychologische und das Pathologische so, als wären das zwei verschiedene Dinge. Tatsächlich gibt es aber nur das Pathologische. Samskara, jene Konditionierung, die dafür verantwortlich ist, daß Sie sich von der Welt und von sich selbst getrennt fühlen, ist eine pathologische Konditionierung.

Wo ist diese Konditionierung, von der Sie sprechen? Wo sind die Gedanken lokalisiert? Sie sind nicht im Gehirn. Die Gedanken werden nicht vom Gehirn erzeugt. Vielmehr ist es so, daß das Gehirn wie eine Antenne die Gedanken einer gemeinsamen Wellenlänge aus einer allgemein zugänglichen Gedankensphäre aufnimmt.

All Ihre Handlungen, ob Sie nun an Gott denken oder ein Kind verprügeln, entspringen der gleichen Quelle - dem Denken. Die Gedanken selbst können keinen Schaden anrichten. Erst wenn Sie den Versuch machen, diese Gedanken zu benutzen, zu zensieren und zu kontrollieren, um etwas zu bekommen, fangen Ihre Probleme an. Sie haben kein anderes Mittel zu Ihrer Verfügung als das Denken, um das zu bekommen, was Sie auf dieser Welt haben wollen. Wenn Sie aber versuchen, mittels des Denkens das zu bekommen, was nicht existiert - Gott, Seligkeit, Liebe und so weiter - dann werden Sie nur erreichen, daß ein Gedanke den Kampf gegen den anderen aufnimmt, und damit schaffen Sie Leiden für sich und die Welt.

Wenn die Denkstruktur, die in den erzwungenen Dienst von Furcht und Hoffnung gestellt wurde, das nicht erreichen kann, was sie will, oder wenn sie sich dessen nicht sicher ist, dann führt sie etwas ein, was Sie den ‘Glauben’ nennen. Woraus entsteht denn das Bedürfnis nach Überzeugungen oder Glaubenssätzen? Wenn Ihre Überzeugungen Sie nirgendwohin gebracht haben, dann wird Ihnen gesagt, Sie müßten einen Glauben entwickeln. Mit anderen Worten, Sie müssen Hoffnung haben. Gleichgültig, ob Sie nach Gott, Frieden, Seligkeit, innerer Ruhe oder, etwas greifbarer, nach Glück suchen, Sie werden am Ende auf Hoffnung und Glaube angewiesen sein. Diese Abhängigkeiten legen Zeugnis ab von Ihrem Versagen, das ersehnte Ergebnis zu erlangen.

Worin besteht das Verhältnis zwischen dem Denken, seiner Konditionierung und dem, was wir Verlangen und Sehnsucht nennen?

Ihr Verlangen soll, genau wie Ihr Denken im allgemeinen, unter allen Umständen unterdrückt und kontrolliert werden. Diese Methode dient nur dazu, die geistlichen Herren reich werden zu lassen. Warum zum Teufel wollen Sie denn überhaupt in einem ‘wunschlosen Zustand’ sein? Zu welchem Zweck? Ich kann Ihnen versichern, daß Sie erst dann keine Wünsche mehr haben werden, wenn Sie als Leiche zum Friedhof getragen werden.

Die geistlichen Herren haben Ihnen erzählt, daß es falsch sei, Sehnsüchte zu hegen. Sie müßten unterdrückt oder in eine höhere Art von Verlangen ‘transformiert’ werden. Das ist Blödsinn. Entweder erfüllen Sie sich Ihre Sehnsucht, oder es gelingt Ihnen nicht, sie zu erfüllen. Das ist das Problem. In beiden Fällen erhebt sich das Begehren. Es nützt auch nichts, wenn man versucht, gar nichts zu tun. Das ist nämlich nur ein Teil Ihrer generellen Strategie, die darauf abzielt, etwas zu bekommen. Es muß sich selbst verzehren. Der Samskara, oder die Konditionierung, kann zwar verbrannt, aber nicht gesehen werden. Sie können sich das Begehren niemals ansehen. Könnten Sie das Begehren sehen, würden Sie geblendet. Ihre Kultur, Ihre Philosophie und Ihre Gesellschaft haben Sie konditioniert, und nun glauben Sie, Sie könnten diese Konditionierung verändern oder irgendwie modifizieren. Das ist unmöglich, denn Sie sind die Gesellschaft.

Wir wollen nicht ohne Konditionierung sein. Es ist erschreckend, auch nur darüber nachzudenken. Wir sind zu unsicher.

Jeder Gedanke, der geboren wird, muß sterben. Das ist es, was als Todestrieb bezeichnet wird. Wenn ein Gedanke nicht stirbt, kann er auch nicht wiedergeboren werden. Er muß sterben, und mit ihm sterben auch Sie. Nur sterben Sie nicht mit jedem Gedanken und jedem Atemzug. Sie koppeln den einen Gedanken an den nächsten an und schaffen so eine falsche Kontinuität. Es ist diese Kontinuität, die das eigentliche Problem darstellt. Ihre Unsicherheit entspringt Ihrer Weigerung, sich der temporären Natur des Denkens zu stellen. Es ist ein bißchen einfacher, zu denen zu sprechen, die sich in der Gedankenkontrolle versucht haben - die einige Sadhana geübt haben - denn sie haben erfahren, wie vergeblich das ist und können erkennen, wo die Probleme liegen.

Ich gehe also davon aus, daß es die Tradition und die Konditionierung sind, die das moralische Dilemma für uns geschaffen haben...?

Nur ein Mensch, der zur Unmoral fähig ist, kann über Moral reden. Für mich gibt es keine Immoralität Ich kann mich nicht hinsetzen und Moral predigen. Ich nehme überhaupt keine moralische Position ein. Derjenige, der von Sittlichkeit, Liebe und Mitgefühl redet, ist ein Halunke.

Ihre Moral, oder der Mangel daran, ist, verglichen mit der Tatsache, daß Sie tot sind, von keinerlei Bedeutung. Sie funktionieren ständig innerhalb und mittels Ihres toten Gedächtnisses. Erinnerung ist nichts weiter als der gleiche alte Unsinn, der sich wiederholt, das ist alles. Alles, was Sie wissen und was Sie jemals kennen können, ist das Gedächtnis, und Gedächtnis ist Denken. Ihr unaufhörliches Denken verschafft Ihnen lediglich das Gefühl eines ununterbrochenen Zusammenhangs. Warum müssen Sie das die ganze Zeit über tun? Es ist es nicht wert. Sie erschöpfen sich nur selbst auf diese Weise. Wenn es wirklich erforderlich ist, kommt auch das Verständnis. Warum müssen Sie sich von Ihren Handlungen abspalten und sich die ganze Zeit über sagen: „Jetzt bin ich glücklich,“ „Jetzt spüre ich, daß ich dazugehöre,“ „Jetzt fühle ich mich einsam.“ Warum? Sie überwachen und zensieren permanent Ihre Handlungen und Gefühle: „Jetzt fühle ich das, jetzt fühle ich jenes,“ „Ich möchte das sein,“ „Ich hätte das nicht tun sollen.“ Sie grübeln die ganze Zeit über die Zukunft der Vergangenheit nach und bemerken die Gegenwart nicht. In Hinsicht auf Ihr Problem gibt es keine Zukunft. Jede Lösung, die Sie sich ausdenken, liegt in der Zukunft und ist daher nutzlos. Wenn es irgend etwas gibt, das geschehen kann, muß es jetzt geschehen. Da Sie nicht wollen, daß jetzt irgend etwas geschieht, schieben Sie es weg, hin zu etwas, das Sie ‘die Zukunft’ genannt haben. Was Sie an Stelle der Gegenwart haben, ist Angst. Nun beginnt die ganze kräftezehrende Suche nach einer Möglichkeit, von der Angst befreit zu werden. Wollen Sie wirklich diese Art von Freiheit? Ich sage, das wollen Sie nicht.

Etwas, von dem Sie, aus welchen Gründen auch immer, frei sein wollen, ist genau dasjenige, das Sie befreien kann. Sie müssen genau von demjenigen frei sein, wovon Sie sich befreien wollen. Sie haben es immer mit Gegensatzpaaren zu tun; das bedeutet, wenn man von dem einen frei ist, wird man auch vom anderen, seinem Gegenteil, frei sein. Innerhalb der Struktur von Gegensätzen gibt es keine Freiheit. Daher sage ich immer: „Sie haben keine Chance...“ Ebenso wird der Mensch, der sich nicht um die Moral sorgt, auch nicht an der Unmoral interessiert sein. Die Antwort zur Selbstsucht liegt in der Selbstsucht und nicht in einem fiktiven Gegenteil davon, Selbstlosigkeit genannt. Die Freiheit vom Zorn liegt im Zorn und nicht in der Sanftmut. Freiheit von der Habgier liegt in der Habgier und nicht in der Nichthabgier.

Das ganze religiöse Geschäft besteht aus nichts anderem als moralischen Verhaltensregeln: Sie sollen freigiebig sein, mitfühlend und liebevoll, dabei bleiben Sie die ganze Zeit über habgierig und gefühllos. Verhaltensregeln werden von der Gesellschaft in deren eigenem Interesse aufgestellt, heilige ebenso wie profane. Daran ist überhaupt nichts Religiöses. Der Geistliche verlegt den Priester, den Zensor, in Sie hinein. Aus dem Polizisten wurde eine Institution gemacht, und somit wurde er wieder nach draußen verlagert. Die religiösen Codices und Striktionen sind nicht länger nötig; es steht alles in den zivil- und strafrechtlichen Gesetzbüchern.

Sie bräuchten sich mit diesen Geistlichen eigentlich nicht mehr abzugeben; sie sind obsolet geworden. Aber die möchten ihre Macht über die Menschen nicht verlieren. Das ist ihr Geschäft; ihr Lebensunterhalt steht auf dem Spiel. Zwischen dem Polizisten und dem Geistlichen gibt es keinen Unterschied. Mit dem Polizisten ist es ein bißchen schwieriger, denn, anders als die innere Autorität, die von den Geistlichen gesponsort wird, steht er außerhalb von Ihnen und muß bestochen werden.

Die Hilflosigkeit des Durchschnittsmenschen, der versucht dieses grundlegende Dilemma zu lösen, wird von vielen Religionen anerkannt. Die Sucher werden daher zu einem Weisen, einem Erretter oder Avatara hingelenkt. Sie aber lehnen selbst diese Quelle der Inspiration und der Hilfe ab, nicht wahr?

Wenn Sie großem Leidensdruck ausgesetzt und sehr deprimiert sind, fällt der Körper in einen Schlaf. Das ist die Weise der Natur, mit solch einer Situation fertigzuwerden. Oder Sie benutzen Wortwiederholungen als Schlafmittel - was Sie als ‘Japa’ bezeichnen - und schlafen bald fest. Sie erfinden einen Namen wie Rama, wiederholen ihn endlos und hoffen, daraus einen Nutzen zu ziehen. Zunächst einmal haben Sie Rama erfunden. Rama gibt es nicht, außer als eine Gestalt der Geschichte. Nachdem Sie das Monstrum geschaffen haben, beten Sie es an, und dann sagen Sie, Sie kämen nicht davon los. Meinetwegen können Sie weitermachen mit Ihrem „Ram Nam“...

Das Wiederholen der heiligen Namen stellt einen aufrichtigen Versuch dar, etwas Transzendentes im Vergänglichen zu finden, etwas, das Dauer hat...

Es gibt keine Dauer. Das Bemühen, permanentes Glück und ununterbrochenes Vergnügen zu erlangen, erstickt den Körper nur und tut ihm Gewalt an. Mit Ihrem Streben nach Glück erreichen Sie nur, daß die Sensibilität und die Intelligenz des Nervensystems zerstört wird. Etwas zu wollen, das es nicht gibt - das ganze romantische, religiöse, spirituelle Zeug - verleiht dieser falschen Kontinuität, die den Körper zerstört, nur neue Impulse. Das beeinträchtigt das chemische Gleichgewicht des Körpers radikal. Der Körper, der nur am Überleben und an der Fortpflanzung interessiert ist, geht mit Schmerz und Vergnügen gleich um. Sie bestehen darauf, den Schmerz zu stoppen und das Vergnügen zu verlängern. Die Reaktion des Körpers auf Schmerz wie auf Vergnügen ist die gleiche - er stöhnt.

Was will der Körper? Er will nichts, außer zu funktionieren. Alles andere sind Erfindungen des Denkens. Der Körper hat keine eigene, separate und unabhängige Existenz, die von Schmerz und Vergnügen abgesondert wäre. Die verschiedenen Schwingungen, die den Körper beeinflussen, mögen sich in ihrer Intensität unterscheiden, aber Sie sind derjenige, der sie in gute oder schlechte unterteilt.

Sie sind ständig dabei, die Schwingungen, die den Körper treffen, in Erfahrungen zu übertragen. Sie berühren den Tisch, und er ist ‘hart’, Sie berühren das Kissen, und es ist ‘weich‘, Sie berühren den Arm der Frau, und er ist ‘sexy’, und Sie berühren die Türklinke, und sie ist ‘nicht sexy’. Ohne daß die sensorischen Aktivitäten ständig interpretiert werden, gibt es für Sie keine Möglichkeit zu wissen, ob etwas hart, weich oder sexy ist. Die natürliche Intelligenz des Körpers verarbeitet den sensorischen Input korrekt, ohne daß Sie irgend etwas dazu tun müßten. Das ist ähnlich, wie wenn Sie sich im Schlafe viele Male in der Nacht umdrehen, ohne daß Sie das merken oder zu kontrollieren versuchen. Der Körper hat sich selbst im Griff.

Sie mischen sich ständig in das natürliche Funktionieren des Nervensystems ein. Wenn eine Empfindung auftritt, ist das erste, was Sie tun, ihr einen Namen zu geben und sie als Schmerz oder Vergnügen zu kategorisieren. Der nächste Schritt ist der, daß Sie wollen, daß die angenehme Empfindung weitergeht und die schmerzhafte aufhört. Erstens ist das Anerkennen einer Empfindung als Schmerz oder Vergnügen selbst schmerzhaft. Zweitens ist auch der Versuch, eine Art von Empfindung (‘Vergnügen’) zu verlängern und eine andere Art von Empfindung (‘Schmerz’) zu stoppen, schmerzhaft. Beide Tätigkeiten ersticken den Körper. Es liegt in der Natur der Dinge, daß jede Empfindung ihre eigene Intensität und Dauer besitzt. Der Versuch, das Vergnügen auszudehnen und den Schmerz zu stoppen, führt nur dazu, daß die Sensibilität des Körpers und seine Fähigkeit, auf Empfindungen zu reagieren, zerstört wird. Also ist das, was Sie tun, sehr schmerzhaft für den Körper.

Wenn Sie mit den Empfindungen nichts tun, werden Sie herausfinden, daß diese sich zwangsläufig selbst auflösen müssen. Das ist gemeint, wenn ich von der ‘Ionisierung der Gedanken’ spreche. Das ist es, was man unter Geburt und Tod versteht. Für den Körper gibt es keinen ‘Tod’, er löst sich lediglich in seine Bestandteile auf. Da das Denken materiell ist, wird auch all sein Trachten auf das Materielle gerichtet sein. Daher hat Ihr sogenanntes spirituelles Streben keinen Sinn. Verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts dagegen, daß Sie das Denken dazu benutzen, um das zu bekommen, was Sie brauchen; Sie haben kein anderes Werkzeug zu Ihrer Verfügung.

Der Körper ist also ausschließlich an seinem Überleben interessiert. Zum Leben werden nur die Überlebens- und Fortpflanzungssysteme benötigt. So ist der Lauf der Natur. Warum sich das Leben fortpflanzen möchte, ist etwas ganz anderes. Nur über das Denken ist es dem menschlichen Organismus möglich zu überleben und sich seine Fortpflanzung zu sichern. Also ist das Denken sehr wichtig, und für den lebendigen Organismus ist es sogar das Wesentliche. Das Denken entscheidet, ob gehandelt werden muß oder nicht. Alle Tiere verfügen über ein Denken, das auf Überleben ausgerichtet ist, nur kommt im Falle des Menschen noch der Erkenntnisfaktor hinzu und kompliziert das Ganze gewaltig. Wir haben das natürliche Funktionieren der Sinne mit einem niemals endenden Verbalisieren überlagert.

Der Körper interessiert sich überhaupt nicht für psychologische oder spirituelle Themen. Die spirituellen Erfahrungen, die Sie so sehr preisen, sind für den Körper von keinerlei Wert. Liebe, Mitgefühl, Ahimsa, Verständnis und Seligkeit, all diese Dinge, die die Religion und die Psychologie dem Menschen zum Vorbild gaben, strapazieren den Körper nur noch mehr. Alle Kulturen, seien sie aus dem Orient oder dem Okzident, haben diese einseitige Situation geschaffen, in der sich die Menschheit befindet, und sie haben den Menschen in ein neurotisches Individuum verwandelt. Anstatt das zu sein, was Sie sind - unfreundlich - streben Sie nach dem fiktiven Gegenteil davon, das Ihnen vorgegeben wurde - der Freundlichkeit. Das zu betonen, was wir sein sollten, belastet uns nur noch mehr und verstärkt, was wir faktisch schon sind. In der Natur sehen wir, daß die Tiere einmal gewalttätig und brutal und ein andermal liebevoll und großmütig sind. Für sie stellt das keinen Widerspruch dar. Aber dem Menschen wird gesagt, er müsse immerzu freundlich und liebevoll sein und niemals gierig oder gewalttätig. Wir betonen nur die eine Seite der Realität und verzerren somit das Gesamtbild. Dieser Versuch, das eine ohne das andere zu haben, schafft gewaltige Anspannungen, Sorgen und Schmerzen und bringt dem Menschen viel Elend. Der Mensch muß sich der Gewalttätigkeit stellen, die zum Leben notwendig ist; man muß töten, um zu leben, eine Lebensform entwickelt sich auf Kosten der anderen. Und doch verurteilen Sie das Töten.

Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gerne über ein anderes Thema mit Ihnen sprechen. Was ist die Beziehung zwischen Tiefschlaf und Tod? In beiden Fällen gibt es kein ‘Ich’ mehr, und doch scheinen sie voneinander verschieden zu sein.

Warum reden Sie vom Tiefschlaf? Falls es so etwas wie Tiefschlaf geben sollte, so ist es der schlafenden Person nicht möglich, etwas darüber zu wissen. Also reden Sie nicht vom Tiefschlaf; das ist etwas, was Sie niemals erfahren können. Der wirklich tiefe, natürliche Schlaf, der der Natur des Körpers entspricht, hat nichts mit solch poetischem Zeug wie ‘allem Gestrigen gegenüber zu sterben’ zu tun. Auf der tiefsten Ebene der Ruhe, oder im Tiefschlaf, geht der Körper durch den Sterbeprozeß, und er hat die Möglichkeit, zu Vitalität und einem normalen Wachzustand zurückkehren, oder er hat sie nicht. Wenn er wieder zu sich kommt und wiederbelebt wird, heißt das, daß der Körper seine Fähigkeit, sich zu erneuern und zu verjüngen, nicht verloren hat. Was nach diesem Tod übrigbleibt, ist nach seiner Erneuerung frei, um weiterzumachen. In der Tat wird man mit jedem Atemzug, den man tut, geboren, und man stirbt mit ihm. Das ist es, was Tod und Wiedergeburt bedeuten.

Ihre Denkstruktur leugnet die Realität des Todes. Sie sucht mit allen Mitteln nach Kontinuität. Ich informiere Sie hier nicht über den Tiefschlaf oder sonstige Theorien, sondern ich weise darauf hin, daß dann, wenn man tief genug geht, das ‘Ich’ verschwindet und der Körper einen tatsächlichen klinischen Tod durchmacht, wobei er sich in manchen Fällen auch erneuern kann. An diesem Punkt spaltet sich die gesamte Geschichte des Individuums, die in der genetischen Struktur des Körpers lokalisiert ist, nicht mehr vom Leben ab, und sie fällt in ihren eigenen Rhythmus. Von nun an kann sich dieses Individuum von nichts mehr absondern.

In Ihrem gewöhnlichen oberflächlichen Schlaf erleben Sie, daß die Natur die Gedanken nach unten schiebt, damit sich der Körper und das Gehirn ausruhen können. Wenn die Gedanken nicht effektiv in die unterirdischen Regionen geschoben werden, wird man nicht schlafen. Aber nach diesem tiefen Schlaf gibt es keinen Schlaf mehr. Die Wesenheit, die vorher bestand und die sich selbst darüber informierte „Jetzt schlafe ich,“ und „Jetzt bin ich wach,“ ist nicht mehr auffindbar. Die Trennung im Bewußtsein zwischen Wachen und Schlafen läßt sich nicht mehr aufrechterhalten. Also geben Sie sich keine Mühe, über ‘gedankenlose Zustände’ zu theoretisieren; wenn die Gedanken enden, dann sterben Sie. Bis dahin ist alles Gerede über gedankenlose Zustände ein törichtes Produkt des Denkens, das versucht, sich selbst Kontinuität zu verschaffen, indem es an einen ‘gedankenlosen Zustand’ glaubt und nach ihm sucht. Falls Sie sich jemals eingebildet haben, in einem gedankenlosen Zustand zu sein, bedeutet das nur, daß ein Denken vorhanden war.

Die Yogis behaupten, es sei möglich, das normale Wachbewußtsein auf die Gebiete auszudehnen, die normalerweise vom Schlaf bewacht werden, das heißt, in das Unbewußte hinein.

Sie müssen keine Yogatechniken üben, um diese Dinge zu erleben. Wenn Sie Drogen nehmen, können Sie all diese Erfahrungen machen. Ich befürworte die Einnahme von Drogen keineswegs mehr, als ich für Yoga eintrete. Ich weise nur darauf hin, daß alle Erfahrungen aus dem Denken entstanden und im wesentlichen identisch sind. Wenn Sie diese yogischen oder durch Drogen herbeigeführten Zustände als beseligend empfinden und sie als tiefgründiger oder in irgendeiner Weise vergnüglicher als ‘normale’ Erfahrungen bezeichnen, dann verstärken Sie das Ego und festigen die trennende Struktur, indem Sie Ihre Gedanken darauf verschwenden, Empfindungen als höher oder niedriger, angenehm oder schmerzhaft zu interpretieren. Alles, was Sie als Energie erleben, ist durch Denken induzierte Energie. Es ist nicht die Energie des Lebens.

Was Sie sagen, steht im Gegensatz zu dem, was alle Religionen und die Heiligen sagen....

Die Gurus können sagen, was sie wollen. In den Büchern mag stehen, was will. Es dient nur zu ihrem Vorteil. Sie sind auf dem schmutzigen Marktplatz und halten ihre schäbige Ware feil. 

Aber sie sagen...

Vergessen Sie sie. Was sind Sie denn eigentlich? Was haben Sie zu sagen? Sie haben nichts zu sagen. Dazusitzen und einen andern zu zitieren, ist leicht, aber es wird Ihnen hier nichts nützen.

Sehen Sie, in diesem Zustand gibt es keine Trennung. Unsere Situation ist dergestalt, daß ich Ihnen diese Tatsache nicht mitteilen kann und Sie sie nicht empfangen können. Dazu kommt, daß Sie noch einen Schritt weitergegangen sind und für sich selbst ein noch komplexeres Problem geschaffen haben, indem Sie diesen ungeteilten Zustand außerhalb Ihrer selbst, so wie Sie sind, gestellt haben; das ist gleichbedeutend mit Suchen. Um zu suchen, muß man listig sein. Die Suche nach Frieden setzt die natürliche Friedfertigkeit des Körpers herab. Ihr Wissen und Ihre Suche sind bedeutungslos, denn innerhalb der Trennungslinie, die Sie um sich herum gezogen haben, ist nichts.

Müssen Sie denn nur deswegen, weil Sie mit einigen der großen Lehren in einigen Dingen nicht übereinstimmen, gleich auf eine so rücksichtslose Art das gesamte spirituelle Erbe der Menschheit beiseitefegen?

Dieses Erbe ist, was Sie betrifft, von keinerlei Wert. Es ist wie eine Speisekarte ohne die Mahlzeit. Es ist alles nur ein Warenangebot. Das Resultat davon waren Scheinheiligkeit und Kommerzialismus. Etwas ist radikal falsch daran. Wenn es irgend etwas Gutes gibt, kann es nichts Schlechtes hervorbringen. Ganz offensichtlich sind die Religionen falsch - Religion, Spiritualität, Gesellschaft, Sie, Ihr Eigentum, Ihre Motive und Wertvorstellungen, alles miteinander.

Vielleicht ist es so, daß die Mittel korrumpiert wurden, wie Sie sagen. Aber nach dem Ziel - der Seligkeit - scheint doch ein fundamentales Verlangen zu bestehen, nicht wahr?

Seligkeit - was ist denn das? Befinden Sie sich in einem Zustand der Seligkeit? Sie sagen, daß der Atma beseligend sei und zitieren Ihre Gurus und die Mandukya Upanishaden1. Sie sind falsch, schlechte Kost. Sie müssen sich nicht diesem ganzen Unsinn hingeben, um frei davon zu werden. Sie müssen kein Trunkenbold gewesen sein, um die Nüchternheit würdigen zu können.

Aber es ist etwas Besonderes, die Schriften zu lesen, sie sind so inspirierend...

Was bedeuten Ihnen diese Worte denn? Was bedeuten Ihnen all diese Sanskritworte? Fangen Sie nicht an, das zu wiederholen, was Sie gelesen haben. Fällt Ihnen etwas dazu ein, wie Sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt tatsächlich funktionieren? Das wäre sehr wichtig ist, und nicht das, was Samkara2 oder sonst jemand gesagt hat. Ich bin nicht hier, um Sie zu belehren. Dies ist keine didaktische oder erzieherische Übung. Die Tatsache, daß Sie hierher kommen und diese Fragen stellen, bedeutet doch nur, daß all diese Gurus und die Schriften Sie enttäuscht haben. Wenn Sie nicht hierher kommen, dann gehen Sie woanders hin. Worte haben für Sie nur eine vage, abstrakte Bedeutung, ansonsten besitzen sie überhaupt keine Relevanz.

All das war ein bißchen desillusionierend. Darf ich jetzt gehen und das Gespräch morgen fortsetzen?

Selbstverständlich.

Ich danke Ihnen.

 

Wo ist der Raum? Gibt es einen Raum ohne die vier Wände? Was sagt Ihnen, daß es so etwas wie einen Raum gäbe? Wiederholen Sie nicht, was andere auf die Frage geantwortet haben. Gibt es ohne das Denken überhaupt einen Raum? Es gibt ihn nicht. Das Denken erschafft die Zeit ebenso wie den Raum. In dem Augenblick, wo es Denken gibt, entsteht auch Raum und Zeit.

Das Denken hat das Morgen geschaffen. Sie fühlen sich hoffnungslos, weil Sie die Hoffnung des morgigen Tages geschaffen haben. Ihre einzige Chance liegt im Jetzt – es bedarf der Hoffnung nicht. Auch die Vorstellung eines Selbst oder Atma besitzt keine Gültigkeit. Ich habe mich so sehr bemüht, eines zu finden. Die Philosophen haben sich etwas Falsches zurechtgebastelt.

Denken ist Körper, Denken ist Leben, Denken ist Sex. Sie sind der Gedanke. Das Denken sind Sie. Wenn kein Denken da ist, sind Sie es auch nicht. Es gibt keine Welt, wenn das Denken nicht ist.

Mein Gott, was für ein Schlamassel! Wie kann ich mich nur vor all dem retten? Dieses Schicksal ist zu traurig, um auch nur darüber nachzudenken.

Es ist gerade die Vorstellung, daß Sie gerettet werden müßten, vor der Sie gerettet werden müssen. Sie müssen vor den Errettern errettet werden und erlöst von den Erlösern. Wenn es geschehen soll, so muß es jetzt geschehen. Meine Worte können den herrschenden Irrsinn nicht durchdringen. Es ist der Wahnsinn der spirituellen Suche, der Sie unbeweglich und meinen Worten gegenüber unzugänglich macht. Die Trennungslinie zwischen dem Verrückten und dem Mystiker ist sehr, sehr schmal. Der Verrückte wird als klinischer Fall angesehen, dabei ist der andere, der Mystiker, genauso pathologisch.

Vergessen Sie die Rosenkränze, die Schriften und die Asche auf Ihrer Stirn. Wenn Sie selbst einmal die Absurdität Ihrer Suche erkannt haben, dann wird die ganze Kultur in Ihnen zu Asche reduziert werden. Dann sind Sie da heraus. Mit der Tradition ist es dann vorbei. Keine Spiele mehr. Vedanta bedeutet das Ende des Wissens. Warum also noch mehr fromme Bücher schreiben, noch mehr Schulen eröffnen und mehr Lehren aufrechterhalten? Die Asche bedeutet, daß das gesamte Wollen in Ihnen verbrannt wird. Wer nichts weiß, spricht viel. Wenn man etwas weiß, gibt es nichts mehr zu sagen.

Der Zustand des Nichtwissens, den Sie beschreiben, bezieht sich auf eine andere Bewußtseinsebene. Was hat das denn mit mir, einem durchschnittlichen, neurotischen Menschen zu tun?

Was für Bewußtseinsebenen? Es gibt keine Bewußtseinsebenen. Bewußtheit ist im Wachzustand nichts anderes als im Schlafzustand. Sie träumen selbst dann, wenn Sie hier sitzen. Es kann kein Träumen ohne Bilder geben. Wenn Sie im Bett liegen, nennen Sie es träumen, wenn Sie mit offenen Augen dasitzen, nennen Sie es etwas anderes, das ist alles. Für mich sind diese Bilder nicht vorhanden, egal, ob ich mich in einem ‘wachen’ oder einem ‘schlafenden’ Zustand befinde. Ich kann zu keiner Zeit ein Vorstellungsbild irgendwelcher Art formen. Es ist gleichgültig, ob ich die Augen geöffnet oder geschlossen halte. Das Einzige, was es in diesem individualisierten Bewußtsein gibt, ist die untrügliche Reflexion dessen, was ihm dargeboten wird. Sie wird nicht mit einem Namen belegt. Es gibt einfach keine Bestrebung oder ein Verlangen danach, herauszufinden, was es ist. Ich habe keine Möglichkeit, diesen sogenannten Wachzustand zu erkennen oder zu erleben. Ich kann den Wachzustand praktisch erklären, aber das will nicht heißen, daß es da jemanden gäbe, der weiß, daß er wach ist. Erklärungen haben überhaupt keinen Sinn. Daher behaupte ich, daß der natürliche Zustand ein Zustand des ‘Nichtwissens’ ist.

In den meisten Religionen und psychologischen Fachrichtungen wird eine Bewußtseinserweiterung- oder intensivierung empfohlen, zum Beispiel mittels einer Therapie, um ein erfüllteres Leben zu haben. Ist es das, worüber Sie sprechen - eine Art von Bewußtheitstherapie?

Nein, Bewußtheit ist ein einfacher Vorgang im Gehirn. Sie kann nicht dazu benutzt werden, um überhaupt Veränderungen hervorzurufen, auch keine solchen, die therapeutischer Art sind. Wir haben diese natürliche physiologische Bewußtheit (die wir im übrigen mit den anderen Tieren teilen) mit dem Prozeß der Namensgebung überlagert. Diese Bewußtheit und die Bestrebung oder Tendenz in Ihnen, die eine Veränderung bewirken will, sind zwei vollkommen getrennte Dinge. Diese Unterscheidung kann von Ihnen nicht wahrgenommen werden, denn es gibt keine Wahrnehmung ohne den Wahrnehmenden. Können Sie sich, außer durch das Mittel des Gedächtnisses oder des Denkens, einer Sache bewußt werden? Gedächtnis ist Wissen. Selbst Ihre Gefühle sind Gedächtnis. Der Stimulus und die Reaktion bilden eine einheitliche Bewegung - sie lassen sich nicht säuberlich trennen.

Mit anderen Worten, Sie können nicht einmal eine Unterscheidung treffen zwischen dem Stimulus und der Reaktion; es gibt dort keine Trennungslinie, außer, wenn das Denken dazwischentritt und eine zieht. Das Denken hat, als Gedächtnis und Wissen, diesen Mechanismus geschaffen. Die einzige Möglichkeit, wie es sich immerwährend erhalten kann, besteht darin, daß es Wissen anhäuft, mehr und mehr weiß und ständig noch weitere Fragen stellt. Solange Sie suchen, werden Sie Fragen stellen, und der Mechanismus des Fragens verleiht dem Vorgang des Benennens nur neuen Antrieb.

Aber lassen Sie uns das Denken nicht verächtlich machen. Es kann viele wunderschöne Dinge erfassen...

Das Denken kann niemals die Bewegung des Lebens erfassen, es ist viel zu langsam. Das ist wie mit Blitz und Donner. Sie geschehen gleichzeitig, aber da der Schall später ankommt, weil er langsamer ist als das Licht, entsteht die Illusion zweier getrennter Ereignisse. Nur die natürlichen physiologischen Empfindungen und Wahrnehmungen können sich im Fluß des Lebens bewegen. Die Frage, ob diese Bewegung erfaßt oder beherrscht werden könnte, stellt sich nicht. Wir benützen das Wort Bewußtsein so leichtfertig, als ob wir intim mit ihm vertraut wären. Tatsächlich aber werden wir niemals wissen, was Bewußtsein ist.

Also sind die Versuche verfehlt, das Denken irgendwie außer Kraft zu setzen und darauf zu hoffen, ein reines Bewußtsein zu erlangen?

Ich meine, daß wir uns nur durch das Gedächtnis, dem Wissen, einer Sache bewußt werden. Ansonsten gibt es keinen Raum, und auch das trennende Bewußtsein nicht, das ihn erschafft. Daß man etwas ohne das Dazwischentreten des Denkens ansehen könnte, das gibt es nicht. Um zu sehen, bedarf es des Raums, und das Denken schafft diesen Raum. Also existiert der Raum als Dimension nur als eine Schöpfung des Denkens. Das Denken hat auch versucht, Theorien über den Raum aufzustellen und hat so das ‘Raum-Zeit-Kontinuum’ erfunden. Die Zeit ist ein unabhängiger Bezugspunkt- oder Rahmen. Es besteht nicht notwendigerweise eine Kontinuität zwischen ihr und dem Raum .

Das Denken hat auch das Gegenteil der Zeit geschaffen, das ‘Jetzt’ oder das ‘ewige Jetzt’. Die Gegenwart existiert nur als eine Idee. In dem Moment, in dem Sie versuchen, die Gegenwart zu sehen, ist sie schon in die Struktur der Vergangenheit eingegliedert worden.

Das Denken wird jeden nur möglichen Trick gebrauchen, um seiner eigenen Kontinuität neue Impulse zu geben. Seine wichtigste Technik hierzu ist, dasselbe immer aufs Neue zu wiederholen; das verschafft ihm die Illusion der Permanenz. Diese Permanenz wird in dem Augenblick zerschlagen, in dem die Falschheit des Vergangenheit-Gegenwart-Zukunft-Kontinuums erkannt wird. Die Zukunft kann nichts anderes sein als die modifizierte Kontinuität der Vergangenheit.

Diese philosophischen Bestrebungen scheinen die Dinge nur zu komplizieren. Ist es denn nicht möglich, einfach mit der Natur zu leben, die Wolken und die Bäume zu betrachten...?

Der Baum, von dem Sie sprechen, kann vom Denken nicht erfaßt werden. Wenn Ihre Gedankenstruktur die Widerspiegelung des Baumes in Ihnen nicht anhalten und in einen Rahmen einpassen kann, dann haben Sie keine Möglichkeit, den Baum überhaupt zu sehen. Mit anderen Worten heißt das, daß der Baum in Wirklichkeit Sie ansieht, und nicht vice versa. Ich versuche nicht, das zu mystifizieren. Das Wichtige, das Sie erkennen müssen, ist, daß die Trennung zwischen sich selbst und dem Baum falsch ist, und nicht, wer wen ansieht. Sich der Realität von einem ‘positiven’ oder einem ‘negativen’ Standpunkt her anzunähern, wie das die Philosophen versuchen, hat keinen Sinn. Die vom Denken verursachte Kluft bleibt erhalten, gleichgültig welche Betrachtungsweise Sie auch wählen.

Das Denken hat all diese Trennungen geschaffen und dadurch das, was Sie Erfahrung nennen, möglich gemacht. Ein Mensch, der sich von allen Einteilungen im Bewußtsein befreit hat, macht keine Erfahrungen; er hat keine ‘liebevollen’ Beziehungen, stellt nichts in Frage, hat keine Vorstellungen darüber, wie es wäre, ein Mensch zu sein, der zur Erkenntnis gelangt ist, und er hat sich nicht darauf festgelegt, daß er einem anderen helfen will.

Ich bleibe dabei, daß das ganze Problem von der Kultur geschaffen wurde. Durch sie ist diese neurotische Trennung im Menschen entstanden. Irgendwann in seiner Entwicklung hat sich der Mensch abgespalten und hat dabei zum erstenmal ein Selbstbewußtsein erlebt - was die anderen Tiere nicht haben. Das hat dem Menschen nur Elend gebracht. Es ist der Anfang vom Ende des Menschen.

Ein Individuum, dem es durch eine Fügung des Schicksals möglich wurde, von Selbstbewußtsein frei zu werden, erlebt keine unabhängige Existenz mehr. Es ist, auch für sich selbst, wie jedes andere Ding, das es da draußen gibt. Was in seiner Umgebung geschieht, wiederholt sich im Inneren eines solchen Menschen, ohne daß er ein Wissen hierüber besäße. Nachdem sich das Denken einmal verzehrt hat, kann dort nichts mehr bleiben, was eine Trennung schafft.

Während das Denken entsteht, findet gleichzeitig auch der Zerfall oder Tod des Denkens statt. Darum ist es auch nicht natürlich, wenn die Gedanken Wurzeln schlagen. Es ist dem Denken nur dadurch möglich, das harmonische Funktionieren des Körpers zu ignorieren, indem es im Menschen ein zergliederndes Bewußtsein aufrechterhält. Den Menschen in religiöse oder psychologische Formen zu pressen, heißt, die außergewöhnliche Intelligenz dieses wundersamen Körpers zu leugnen. Es ist der Denkprozeß, der Sie immerzu aus Ihrem natürlichen Zustand entfernt und der diese Trennung schafft.

Gibt es für uns eine Möglichkeit, die Realität zu erfahren oder gar an ihr teilzuhaben? Vergessen Sie die ‘letzte Realität’; es gibt keine Methode, die Wirklichkeit überhaupt zu erfahren. Auch das Erfahren der Wirklichkeit ‘von Augenblick zu Augenblick’ ist ein vom Denken induzierter Geisteszustand.

 Es ist für uns schwierig, Ihnen zuzuhören, denn was Sie sagen, unterminiert die Basis jeglicher Kommunikation...

Sie können niemandem zuhören, ohne zu interpretieren. So etwas wie ‘die Kunst des reinen Zuhörens’ gibt es nicht. Sie können hier sitzen und für den Rest Ihres Lebens reden, ohne daß Sie  dabei irgend etwas erreichen würden. Wie könnte man, ohne einen gemeinsamen Bezugspunkt zu haben - der eine weitere Erfindung des Denkens ist - miteinander kommunizieren und etwas mitteilen? Das ist einfach nicht möglich. Es gibt sowieso nichts mitzuteilen.

Sie wollen die Kommunikation dazu benutzen, um aus dem Schlamassel, in dem Sie sich befinden, herauszukommen. Nur daran sind Sie interessiert. Es ist Ihr einziges Ziel, Ihre Lage zu verbessern. Warum wollen Sie denn aus der Situation, in der Sie sich befinden, herauskommen? Denn das ist es ja, was das Problem überhaupt erst entstehen ließ. Das eigentliche Problem ist, daß Sie sich von der Last befreien wollen. Ich gebe keinerlei Empfehlungen ab; ob Sie etwas tun oder es unterlassen, führt zum gleichen Ergebnis, nämlich Kummer und Leid. Nichts zu tun ist also nicht verschieden davon, etwas zu tun. Solange, wie Sie über ein Wissen bezüglich dieser Last verfügen - von der ich behaupte, daß Sie nicht existiert - solange werden Sie kämpfen müssen, um sich von ihr zu befreien. Es kann gar nicht anders sein. Alles, was Sie tun, ist Teil des Denkmechanismus.

Ihre Suche nach dem Glück verlängert Ihr Unglücklichsein.

Ihre Aussage hat einen Unterton von Gewißheit und Autorität. Wir möchten gerne wissen...

Von wem wollen Sie wissen? Nicht von mir. Ich weiß es nicht. Wenn Sie annehmen, daß ich es wüßte, befinden Sie sich in einem bedauerlichen Irrtum. Ich habe keine Möglichkeit zu wissen. In Ihnen läuft lediglich dieser Prozeß ab, der sich ein immer größeres Wissen aneignen will. Das ‘Ich’, die trennende Struktur, kann sich nur solange erhalten, wie dieses Verlangen nach Wissen vorhanden ist. Das ist der Grund, warum Sie diese Fragen stellen, und nicht, weil Sie wirklich selbst etwas herausfinden wollten. Nichts von dem, was Sie sich selbst mitteilen, kann Ihre unglückselige Lage ändern. Warum sollte denn überhaupt etwas, oder nichts, geschehen?

Das Verlangen nach Freiheit, sei sie nun äußerlich oder innerlich, ist seit langem in uns. Uns wurde gesagt, daß das eine heiliges, noble Sache sei. Wurden wir wieder in die Irre geführt?

Das Verlangen danach, frei zu sein, ist die Ursache Ihrer Probleme. Sie möchten sich gerne als frei sehen. Derjenige, der sagt „Du bist nicht frei,“ ist derselbe, der behauptet, daß es einen Zustand der ‘Freiheit’ gäbe, den es anzustreben gilt. Aber dieses Streben ist Sklaverei und damit die Negation der Freiheit. Ich weiß gar nichts über Freiheit, weil ich gar nichts über mich selbst weiß, sei es frei, versklavt oder sonst irgendwie. Freiheit und Selbsterkenntnis hängen zusammen. Da ich mich selbst nicht kenne und mich selbst auch nicht anders sehen kann, als mit dem Wissen, das von der Kultur vorgegeben wurde, stellt sich die Frage gar nicht, ob ich frei sein will. Es ist Ihr Wissen über die Freiheit, das die Möglichkeit zur Freiheit negiert. Wenn Sie damit aufhören, sich selbst mit Ihrem eigenen Wissen zu betrachten, dann fällt das Verlangen danach, frei zu sein, von Ihnen ab.

In unserem normalen Geisteszustand sind wir viel zu konfus, um das, was Sie sagen, wirklich würdigen zu können. Man kann Sie nur in einem Zustand der tiefen Stille allmählich verstehen, nicht wahr?

Ein stiller Geisteszustand ist lächerlich. So etwas wie einen stillen Geisteszustand gibt es nicht. Das ist nur ein weiterer Trick, der von dem Verlangen nach Freiheit herrührt. Es gibt nur dieses ständige Forderung frei zu sein, sonst ist nichts. Wie könnten Sie - und warum sollten Sie - frei von Erinnerung sein? Erinnerungen sind absolut notwendig. Das Problem liegt nicht darin, Erinnerungen zu haben, sondern in Ihrer Neigung, sie dazu zu benutzen, Ihre ‘spirituellen’ Interessen zu vertreten oder sie zum Zwecke der Glücksfindung einzusetzen. Der Versuch, sich von Erinnerungen zu befreien, ist gleichbedeutend mit einem Rückzug, und Rückzug, das ist der Tod.

Es gibt nichts zu wissen. Die Feststellung, daß es nichts zu wissen gibt, ist für Sie eine Abstraktion, denn Sie wissen. Für Sie ist Nichtwissen ein Mythos. Nichtwissen gibt es nicht, dagegen gibt es ein Wissen, das sich vorstellt, es gäbe einen Zustand, in dem Sie sich vom Gewußten befreien könnten. Ihr Verlangen danach, vom Wissen frei zu sein, schafft das Problem. Solange wie Sie der Meinung sind „Das sollte ich sein...“, gibt es auch das, was Sie gerade sind.

Es ist also das Phantasieren über eine nichtexistente ideale Person, Gesellschaft oder einen Staat, das mich dort festhält, wo ich bin und mich scheitern läßt. Mein Glaube an das, was ich nicht bin, bestimmt, was ich tatsächlich bin. Stimmt das?

Ja. Und das größte Ideal, das imposanteste, perfekteste und allermächtigste ist natürlich Gott. Es ist eine Erfindung ängstlicher Gemüter. Dem menschlichen Verstand lassen sich viele destruktive Erfindungen zuschreiben. Diejenige, die am zerstörerischsten ist und die auch Sie korrumpiert hat, ist die Erfindung Gottes. Die Geschichte des menschlichen Denkens hat Heilige, Lehrer, Gurus und Bhagavans produziert, aber Gott ist von ihnen allen die korrupteste. Der Mensch hat sein Leben sowieso verpfuscht, und die Religion hat alles noch schlimmer gemacht. Es ist die Religion, die das eigentliche Schlamassel im Leben des Menschen angerichtet hat.

Mir ist eine Parallele zwischen Ihrer Botschaft und den anderen Lehren, insbesondere der J. Krishnamurtis, aufgefallen, nämlich die Betonung der Denkstruktur und ihrer Fähigkeit, uns blind zu machen. Warum ist das Denken so wichtig?

Es ist wichtig, weil das Denken, obwohl es jede Ihrer Handlungen kontrolliert und determiniert, dabei doch nicht gleichzeitig vom Bewußtsein wahrgenommen werden kann. Sie können über das Denken nachdenken und theoretisieren, aber sie können es selbst nicht wahrnehmen oder würdigen. Sind Sie und das Denken zwei verschiedene Dinge? Sie wissen etwas über das Denken, das Denken selbst aber kennen Sie nicht. Existiert das Denken gesondert von dem Wissen, das Sie darüber besitzen? Ungefähr alles, was Sie sagen können, ist: „Ich weiß, daß ich ein Wissen über meine Gedanken, meine Erfahrungen, über dieses und jenes habe.“ Gibt es unabhängig davon ein Denken? Das einzige, was es wirklich gibt, ist Ihr Wissen über das Denken.

Es gibt also nur das Wissen, das Sie über das Denken angehäuft haben. Sonst ist nichts da. Alles Wahrgenommene ist, ebenso wie der Wahrnehmende selbst, Teil dieses Wissens über das Denken. Das sind Gedanken, und ‘Ich’ ist ein weiterer Gedanke. Aber im Denken liegt kein individueller Wert; es ist nicht Ihr eigenes, es gehört jedermann, genau wie die Atmosphäre. Das Wissen ist Gemeingut.

Was ich sagen will ist, daß es ein Individuum als solches überhaupt nicht gibt. Es gibt nur eine gewisse Ansammlung von Wissen - das Denken nämlich - aber keine Individualität. Das Wissen, das Sie von den Dingen haben, ist alles, was Sie zu erfahren imstande sind. Ohne Wissen ist keinerlei Erfahrung möglich. Sie können Erfahrung nicht von Wissen trennen. Das ‘Ich’ ist nichts Heiliges; es ist die Totalität Ihres Wissens, und Sie müssen sich unglücklicherweise damit abfinden, ob Ihnen das gefällt oder nicht. Warum sind Sie so daran interessiert, Ihr Wissen über sich selbst (was immer das auch sein mag, was Sie ‘sich selbst’ nennen) aufzuteilen? Es gibt nur das Wissen. Wo ist das ‘Ich‘? Sie haben das ‘Ich’ von dem Wissen über die sie umgebenden Dinge losgelöst. Es ist eine Illusion.

Ähnlich ist es mit der Erleuchtung, auch sie hat keine unabhängige Existenz, abgesehen von dem Wissen, das Sie darüber besitzen. Es gibt überhaupt keine Erleuchtung. Die Idee von der Illumination hängt eng mit einem Wandel zusammen, aber es gibt nichts Wandelbares. Veränderung läßt Zeit zu; Veränderung bedarf immer der Zeit. Etwas zu ändern, eine Sache zu beseitigen und durch eine andere zu ersetzen, braucht Zeit. Was Sie jetzt sind und das, was Sie sein sollten, ist durch die Zeit miteinander verknüpft. Sie werden morgen erleuchtet sein.

Hier ist ein Beispiel: Sie wollen erleuchtet sein, Sie wollen ‘selbstlos’ sein; Sie sind dieses, Sie wollen jenes sein. Die Kluft zwischen beidem ist mit Zeit gefüllt, die dorthin verlegt wurde, damit man sich immer wieder dieselbe Frage stellen kann: „Wie?“ Ihre Erleuchtung oder Selbstlosigkeit liegt immer im Morgen, nie im Jetzt. Also ist die Zeit essentiell, und Zeit ist Denken. Denken ist kein Handeln, auch kein Nehmen, sondern lediglich Wollen. Sie sind nicht bereit, irgend etwas zu tun, Sie wollen nur meditieren, und das ist auch nichts anderes als darüber nachzudenken. Ihre Denkstruktur, und das sind Sie, kann sich die Möglichkeit nicht vorstellen, daß etwas geschieht, das nicht im Rahmen der Zeit stattfindet. Diese eskapistische Logik wird von jedermann auch auf spirituelle Dinge angewandt, nur daß dabei der Zeitrahmen größer ist. Dort wird es in einem künftigen Leben oder vielleicht im Himmel geschehen; auf jeden Fall aber morgen. Und ebensowenig wie es in diesen Dingen ein Morgen gibt, so existiert auch der Bezugspunkt, die Gegenwart. Wo existiert sie nicht? Im Denken, welches die Vergangenheit ist. Die Frage einer Erleuchtung oder eines selbstlosen ‘Jetzt’ stellt sich nicht, weil es kein ‘Jetzt’ gibt, sondern nur die Projektion der Gegenwart hinein in die Vergangenheit.

Sie haben niemals einen Baum gesehen, sondern nur Ihr Wissen, das Sie über Bäume haben. Sie sehen das Wissen, nicht den Baum. Ihr ganzes Interesse an der Selbstlosigkeit ist durch die Vergangenheit motiviert. Solange eine Motivation vorhanden ist, solange handelt es sich um eine egozentrische Aktivität. Je mehr Sie tun, desto selbstsüchtiger werden Sie. Daß Sie erleuchtet oder selbstlos sein wollen, ist eine sehr selbstsüchtige Sache. Sie wollen keine Freiheit, sie wollen auch nicht, daß jedermann frei wird, Sie wollen ‚Freiheit‘ für sich. Wie zum Teufel können Sie mit so einer Einstellung frei werden? Sie werden nicht frei sein.


[1]

1 Mandukya Upanishaden: Eine  der Haupt-Upanishaden, die  den offiziellen Teil der heiligen Schriften der Inder, der Veden, darstellen.

2 Samkara: Der Philosoph der Vedanta des 8. Jahrhunderts  aus Kerala, Indien, der eine nicht-dualistische Philosophie, basierend  auf den Upanishaden,  vorgelegt hat. Diese Philosophie lehrt, daß allein Brahman (die Letzte Realität) wirklich ist, daß die Welt eine Illusion ist und daß es keinen Unterschied zwischen Atman (dem inneren Selbst) und Brahman gibt.

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