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Wir haben diese Dschungelgesellschaft geschaffen

 

Ich habe vor kurzem Ihr Buch gelesen, U.G., und ich muß gestehen, daß ich am Schluß das Gefühl hatte, daß uns Ihre ganzen Argumente keinen Anlaß zur Hoffnung liefern, sondern daß sie auf die Unvermeidbarkeit menschlichen Leidens und der Verzweiflung hinweisen. Habe ich recht?

Im Grunde sehe ich keine Zukunft für den Menschen. Es ist nicht so, daß ich den Untergang predigen würde, aber alles, was aus der menschlichen Zwiespältigkeit heraus entsteht, wird schließlich die ganze Gattung Mensch vernichten. Ich träume also nicht von der Hoffnung auf eine friedvolle Welt.

Ist das so wegen der Unvermeidbarkeit der Gewalt?

Wegen der Unvermeidbarkeit des Krieges in Ihnen. Die militärischen Kriege dort draußen sind nur die Erweiterung dessen, was die ganze Zeit in Ihnen vorgeht. Warum tobt in Ihnen ein Krieg? Weil Sie nach Frieden suchen. Das Mittel, das Sie für Ihre Versuche benutzen, um mit sich selbst in Frieden zu leben, ist der Krieg.

Im Menschen herrscht schon Frieden. Sie brauchen nicht danach zu suchen. Der lebendige Organismus funktioniert auf eine außerordentlich friedvolle Weise. Auch die Suche des Menschen nach Wahrheit ist aus dieser Suche nach Frieden heraus entstanden. So wird er schließlich nur den Frieden, der schon in ihm ist, stören und ihm Gewalt antun. Was uns also bleibt, ist der Krieg innerhalb des Menschen und der Krieg außerhalb von ihm. Beide sind eine Erweiterung ein und desselben.

Unsere Suche nach Frieden auf dieser Welt wird uns, da sie auf Krieg basiert, nur zu weiteren Kriegen führen, hin zur Verdammnis des Menschen

Viele Philosophien, einschließlich des Marxismus, sagen, daß Kampf und Krieg unvermeidbar seien.

Das ist wahr. Sie sind unvermeidbar. Die Marxisten und andere stellen eine These auf, die als Streitpunkt zur Antithese wird, bis dann schließlich eine Synthese erreicht wird. Aber die Synthese des einen Menschen ist die These des anderen, die dann wieder eine neuformulierte Antithese entstehen läßt. Das sind philosophische Erfindungen, die dazu ersonnen wurden, dem Leben einen logischen Zusammenhang und eine Richtung zu verleihen. Ich dagegen behaupte, daß das Leben willkürlich entstanden ist; es kann durch einen Zufall zustande gekommen sein. Die Bemühungen des Menschen, dem Leben eine Richtung zu geben, können nur enttäuscht werden, denn das Leben hat keine Richtung.

Aber das soll nicht heißen, daß die Raketen schon unterwegs wären und der Weltuntergang vor der Tür stünde. Der Überlebensinstinkt des Menschen ist sehr tief verwurzelt. Ich behaupte also, daß dieses ganze schwülstige Gerede von Frieden, Mitgefühl und Liebe den Menschen nicht im mindesten beeinflußt hat. Es ist Blödsinn.

Was die Menschen zusammenhält, ist der Terror. Die pure Angst vor der gegenseitigen Vernichtung hat seit langem einen starken Einfluß auf den Menschen ausgeübt. Das ist natürlich keine Garantie. Ich weiß es nicht.

Das Problem wird jetzt noch durch die Tatsache verstärkt, daß im Falle eines großen Krieges unsere Technologien die Ausrottung nicht nur des Menschen, sondern aller Lebensformen garantieren.

An dem Tage, an dem der Mensch jenes Selbstbewußtsein in sich verspürte, das ihn sich jeder anderen Spezies auf dem Planeten überlegen fühlen ließ, begab er sich auf den Weg, der zu seiner totalen Selbstzerstörung führt. Wenn der Mensch vernichtet wird, ist wahrscheinlich nicht viel verloren. Unglücklicherweise werden die Mittel der Zerstörung, die er über die Jahre hinweg anhäufen konnte, immer schlimmer und immer gefährlicher. Wenn er geht, wird er alles andere mitnehmen.

Woher stammt denn dieser tiefsitzende Drang, über sich und die Welt zu herrschen?

Sein Ursprung lag in der religiösen Vorstellung, daß der Mensch der Mittelpunkt des Universums sei. So glauben zum Beispiel die Juden und die Christen, daß alles nur zum Nutzen des Menschen geschaffen sei. Daher ist der Mensch nicht länger Teil der Natur. Er hat alles vergiftet, zerstört und ausgerottet, und das auf Grund dessen, daß er im Mittelpunkt des Universums, der gesamten Schöpfung stehen will.

Aber der Mensch muß doch sicherlich irgendwo hingehören, auch wenn er nicht der Mittelpunkt der Schöpfung ist. Sein Sündenfall stellt den Beginn und nicht das Ende des Menschen dar.

Die Doktrin vom Sündenfall kommt den Christen sehr gelegen, das ist alles; sie hat überhaupt nichts zu bedeuten. In der gesamten christliche Tradition wird diese Vorstellung von einer Erbsünde bis zum Exzeß ausgebeutet, was unglaubliche Gewalttaten, Massaker und großes Blutvergießen zur Folge hat.

Nun, die östlichen Philosophien sprechen von einem ‘stillen Mittelpunkt’, der durch die Meditation gefunden werden kann.

Ich stelle genau die Existenz, die Vorstellung eines Selbst, die Idee von Geist und Psyche in Frage. Wenn Sie die Konzeption eines Selbst akzeptieren (und es ist eine Konzeption), dann sind Sie frei, nach Selbsterkenntnis zu streben und diese zu erlangen. Doch wird dieser Begriff eines Selbst von uns niemals in Frage gestellt.

Was ist dieses Selbst, von dem Sie sprechen?

Sie interessieren sich für das Selbst, nicht ich. Was immer es auch sein mag, es ist das Wichtigste für den Menschen solange er lebt.

Ich existiere, daher bin ich. Ist es das? Descartes?

Sie haben niemals das Grundsätzliche, von dem hier ausgegangen wird, in Frage gestellt. Das heißt: ich denke, also bin ich. Wenn Sie nicht denken, kommt es Ihnen auch nicht in den Sinn, daß Sie lebendig oder tot sind. Schon das Entstehen des Denkens schafft Angst, und da wir die ganze Zeit über denken, entspringt der Angst auch alle Erfahrung. Sowohl die ‘innere’ als auch die ‘äußere’ Welt gehen von einem gedanklichen Punkt aus. Alles, was Sie erfahren, ist aus dem Denken entstanden. Demnach ist alles, was Sie erfahren oder erfahren können, eine Illusion.

Die gedankliche Selbstversenkung schafft im Menschen eine Ichbezogenheit, sonst nichts. Alle Beziehungen, die hierauf basieren, werden dem Menschen unvermeidlicherweise Leid bringen. Es sind vorgetäuschte Beziehungen. Was Sie betrifft, gibt es so etwas wie eine Beziehung gar nicht. Und doch fordert die Gesellschaft nicht nur Beziehungen, es sollen auch permanente Beziehungen sein.

Halten Sie sich für einen Existentialisten?

Ich glaube nicht, daß Sie mir irgendein Etikett anhängen können. Die Existentialisten sprechen von Verzweiflung und Absurdität. Dabei haben sie sich aber niemals richtig mit der Absurdität und der Verzweiflung auseinandergesetzt. Für sie ist Verzweiflung nur eine Abstraktion.

Was ist mit der Angst? Dem Scheitern? Dem Ekel? Was hat denn Raskolnikoff gefühlt, wenn nicht Verzweiflung?

Das sind abstrakte Begriffe, auf denen gewaltige philosophische Strukturen aufgebaut wurden. Worauf ich mich beziehe, wenn ich von einer ichbezogenen Tätigkeit spreche, ist ein autonomer, automatischer, sich selbst erhaltender Mechanismus, der vollkommen verschieden ist von dem, worüber dort theoretisiert wird.

Meinen Sie, daß das Selbst die Sterblichkeit überlebt?

Nein. Die Frage nach einem Selbst stellt sich nicht, wie also könnte sich dann die Frage nach Unsterblichkeit, dem Jenseits, erheben?

Welches Jenseits? Gibt es ein Jenseits?

Es ist die Sterblichkeit, die die Unsterblichkeit hervorbringt. Es ist das Bekannte, das das Unbekannte schafft. Es ist die Zeit, die das Zeitlose geschaffen hat. Es sind die Gedanken, die die Gedankenlosigkeit schaffen.

Warum?

Weil die Gedanken ihrer Natur nach kurzlebig sind. Jedesmal, wenn ein Gedanke geboren wird, werden auch Sie geboren. Sie aber haben dem Ihre ständige Forderung danach, immer wieder das gleiche zu erleben, hinzugefügt und somit den Gedanken eine falsche Kontinuität verliehen. Um etwas zu erfahren, bedarf es des Wissens. Wissen ist das gesamte Erbe von Gedanken, Gefühlen und Erfahrungen des Menschen, das von Generation zu Generation weitergegeben wurde.

Genau so, wie wir aus einem gemeinsamen Fundus von Luft Atem schöpfen, so eignen wir uns auch Gedanken aus der uns umgebenden Gedankensphäre an und benutzen sie, um in dieser Welt zu funktionieren. Weiter ist da nichts. Das Beharren des Menschen darauf, daß das Denken kontinuierlich sein müsse, leugnet die kurzlebige Natur des Denkens. Das Denken hat für sich selbst ein separates Schicksal geschaffen. Es war sehr erfolgreich darin, für sich selbst eine separate, parallele Existenz aufzubauen. Indem es das Unbekannte, das Jenseits, das Unsterbliche postuliert, hat es für sich einen Weg gefunden, auf dem es weiterexistieren kann. Es gibt keine Zeitlosigkeit, nur die Zeit. Wenn das Denken die Zeit schafft, entsteht dabei ein Raum; also ist das Denken auch Raum. Das Denken schafft auch die Materie; kein Denken, keine Materie. Das Denken ist eine Manifestation oder ein Ausdruck des Lebens; und daraus eine separate Sache zu machen, ihm ein eigenes Leben beizumessen und ihm dann zuzugestehen, daß es sich selbst eine Zukunft für sein eigenes ungehindertes Fortbestehen verschafft, ist die Tragödie des Menschen.

Aber wenn das Denken die Materie schafft, wie erklären Sie es dann, daß Sai Baba aus dem Nichts Uhren hervorbringt?

Das ist einfach nicht möglich. Sai Baba ist ein Zauberer. Früher hat er Schweizer Uhren produziert, aber nachdem die indische Regierung Schweizer Uhren mit einer Importsteuer belegt hat, fing er bald darauf an, Uhren ‘made in India’ hervorzubringen. Ich habe neulich im Fernsehen einen Mann gesehen, der vor aller Augen ein Düsenflugzeug verschwinden ließ. Sai Baba zaubert eine Uhr herbei. Er gibt sie einem Schüler, der ausgezeichnet werden soll, aber er, Sai Baba, bekommt allen Beifall und Applaus. Es sieht alles korrekt aus, aber es ist nur ein Trick. Ich mache mich über solche Sachen lustig. Wie können Sie das nur ernst nehmen?

Also, was nehmen Sie dann ernst? Das Leben? Den Tod? Außerirdisches Leben?

Ich glaube nicht, daß diese Art von Leben irgendwo anders, auf einem anderen Planeten, existiert. Ich sage nicht, daß es in anderen Welten kein Leben geben könnte, sondern nur, daß es nicht wie unsere Existenz hier sein wird. Ihre Beschäftigung mit anderen Lebensformen und anderen Welten ist nichts weiter als der Wunsch nach unbeschränkter Ausdehnung in die Zukunft und in weit entfernt liegende Orte hinein. Das Denken versucht sich selbst Kontinuität zu verschaffen, und mit Spekulationen über die Zukunft oder unentdeckte Welten läßt sich das auf bequeme Weise tun. Ihr Denken bestimmt dasjenige, dessen Sie sich bewußt werden können. Punktum.

Das kommt dem sehr nahe, was J. Krishnamurti sagt, nämlich daß das angehäufte menschliche Wissen zur Tradition wird und eine ihm eigene Kontinuität und Legitimation annimmt. Glauben Sie das auch?

Nein. Ich sehe nicht, wie das, was ich sage, seiner Denkweise auch nur nahekommen sollte. Er spricht von ‘passivem Gewahrsein’, Entdeckungsreisen und psychologischen Verwandlungen, er eröffnet Schulen und gründet Stiftungen. Solche Aktivitäten befreien nicht, sondern lassen den Denkprozeß und die Tradition nur fortbestehen.

Gibt es denn irgendeine Gedankenfreiheit? ...überhaupt eine Freiheit für den Menschen?

Nein, der Mensch besitzt keine Handlungsfreiheit. Ich spreche nicht von einer umwälzenden, deterministischen Philosophie der Resignation. Aber...

Gibt es denn gar keinen Ausweg? Nicht einmal durch die Kontemplation des eigenen Nabels? Nicht einmal durch Meditation? Nicht einmal durch das Emporsteigen der Kundalini? Nicht einmal durch die Überwindung der Illusion?

Nein. Sie können all diese Dinge ausprobieren, aber das wird nichts helfen. Alles, was Sie damit erreichen werden, ist, daß Sie innerhalb des Körpers Störungen hervorrufen, indem Sie die dort herrschende Harmonie beeinträchtigen. Indem Sie seltsame Halluzinationen und unnatürliche metabolische Veränderungen hervorrufen, schaden Sie dem Körper nur, nichts weiter. Mehr ist nicht zu erreichen. Es gibt nichts, was Sie tun könnten, um das umzukehren oder die Richtung zu ändern.

Nicht einmal ein radikaler Bruch mit der Tradition, selbst wenn er zeitlich begrenzt ist? Wenn man seine Handlungen vom Denken abtrennen könnte, wäre es vielleicht möglich, frei von Schuld zu handeln und ohne sich um die Konsequenzen seiner Taten zu sorgen. Das Handlungsvermögen würde möglicherweise befreit werden, um neue, kreative Dinge zu tun.

Wozu? Um seine eigenen verdeckten Stärken zu entdecken? Die vom Denken künstlich geschaffene Realität kann nicht geleugnet werden; sie ist vorhanden.

Einige Weise und Seher haben darauf bestanden, daß es in uns so etwas wie subtile Energiezentren gäbe, die durch bestimmte religiöse Praktiken freigesetzt werden können, wie zum Beispiel durch die geistige Konzentration auf genau nichts.

Um sich auf eine Sache konzentrieren zu können, müssen Sie die anderen abblocken. Indem Sie sich auf das konzentrieren, was Sie für das ‚Nichts‘ halten, ziehen Sie sich vom natürlichen Fluß des Lebens, der durch Sie hindurch und um Sie herum strömt, zurück und trennen sich von ihm ab. Sie sind Teil eines allgemein zugänglichen Magnetfeldes, und was Sie von den anderen trennt, ist das Denken. Sie sind nur mit Ihrem Glück oder Unglück befaßt und mit dem Video, das Sie sich gerade anschauen.

Ist das nicht unvermeidlich, in Anbetracht der Tatsache, daß jeder von uns in einer subjektiven Welt lebt und niemand die ‘objektive’ Welt so sieht, wie sie wirklich ist? Wenn wir uns zum Beispiel diesen Tisch hier ansehen, sieht jeder etwas anderes. Und so ist das mit allen Gegenständen.

Der Tisch ist überhaupt kein Gegenstand.

Es geht hier um die Tatsache, daß Sie den Tisch als Tisch erkennen. Es spielt keine Rolle, daß Sie und ich, wie es die Philosophen anscheinend glauben, geringfügig unterschiedliche Ansichten bezüglich dieses Stuhls hier hätten und ihn so verschieden interpretieren. Es spielt auch keine Rolle, ob der Stuhl da ist, wenn ich den Raum verlasse. Die Philosophen befassen sich immerzu mit solchen Dingen. Es ist absurd. Sie sehen und erfahren die Dinge aus einem anderen Blickwinkel als andere, das ist alles. Sie glauben, Sie machten eine subjektive Erfahrung eines objektiven Gegenstandes. Es ist aber nichts da, nur Ihre relativen, empirischen Daten, Ihre ‘Wahrheit’. So etwas wie eine objektive Wahrheit gibt es nicht. Es gibt nichts, das ‚außerhalb‘ unseres Verstandes oder unabhängig von ihm existierte.

Gilt das auch für den Mitmenschen? Hängt seine Existenz nur von meiner geistigen Aktivität ab? Ist Ihre Frau oder Ihr Nachbar lediglich ein intra-psychisches Phänomen?

Da ich davon ausgehe, daß ‘Ich’ existiere, existiert auch er. Aber ich stelle das in Frage. Habe ich denn die Möglichkeit, die Tatsache meiner Existenz zu erfahren? Es ist mir nicht möglich herauszufinden, ob ich lebendig oder tot bin.

Ich könnte zu einem Arzt gehen, der mich untersuchen, meine Temperatur, meinen Puls und meinen Blutdruck messen würde, um mir dann zu sagen, daß alles normal sei. In diesem Sinne sind Sie ein lebendiges, mit Leben erfülltes Wesen, das sich im Gegensatz zu den unbelebten Gegenständen um Sie herum befindet. Aber tatsächlich haben Sie keine Möglichkeit, für sich und durch sich selbst die Tatsache zu erfahren, daß Sie ein lebendiges Wesen sind.

Natürlich kann man das; man schneidet sich, es fließt Blut und man fühlt den Schmerz; wenn man heiratet, leidet man (lacht)...

Ja, aber da ist zweierlei: Zunächst der Körper, der den Schmerz fühlt, und dann ist da das Wissen, das Ihnen sagt: „Das ist Blut,“ „Das ist Schmerz“, „Das ist das Nachlassen des Schmerzes.“ Es gibt den Schmerz, aber hier ist niemand, der ihn fühlt. Es gibt niemand, der jetzt spricht.

Ich mache keine mystische Aussage, wenn ich so etwas sage. Sprechen ist etwas Mechanisches, so wie ein Tonband. Ihre Fragen rufen hier automatisch bestimmte Entgegnungen hervor. Was immer auch hier ist, es kommt heraus, das ist alles. Weil Sie die Fragen stellen, sind die Antworten schon vorhanden.

Wie ist es mit der Liebe, den inbrünstigen Gefühlen, was ist mit dem tiefempfundenen Widerhall der Schönheit der Natur?

Ha! All dieses typische romantische Zeug! Reines Dichtwerk! Nicht, daß ich mit der Romantik oder der Dichtung ein Hühnchen zu rupfen hätte. Überhaupt nicht. Nur will das alles gar nichts heißen. Sie haben tatsächlich keine Möglichkeit, den Sonnenuntergang zu betrachten, weil Sie nicht von ihm getrennt sind, und noch viel weniger können Sie Gedichte über ihn schreiben. Sie wollen die Erfahrung, diese außerordentliche Erfahrung, die Sie machen, wenn Sie den Sonnenuntergang sehen, mit jemandem teilen. Indem Sie die Poesie, die Musik oder die Malerei als ein Medium benutzen, versuchen Sie, Ihr Erlebnis mit einem anderen Menschen zu teilen. Mehr ist das nicht. Den wirklichen Sonnenuntergang zu begreifen, liegt außerhalb Ihrer erfahrenden Struktur. Der Beobachter ist das Beobachtete. Sie können sich nicht selbst von dem, was Sie sehen, trennen.

In dem Augenblick, in dem Sie sich getrennt vom Sonnenuntergang sehen, kommt der Dichter in Ihnen zum Vorschein. Aus der Erfahrung dieser Trennung heraus, haben Dichter und Maler versucht, sich auszudrücken und ihre Erlebnisse mit anderen zu teilen. All das ist Kultur. Die Kultur ruft ihren eigenen Widerhall hervor. Mehr ist daran nicht.

Was geschieht mit einem Ureinwohner, der unberührt ist von der Zivilisation, der keiner komplexen Kultur ausgesetzt war, so wie Sie und ich sie kennen, und der auf einen wunderschönen Sonnenuntergang reagiert?

Sehen Sie, das hängt doch davon ab, was wir unter Kultur verstehen. Es ist derjenige Teil der Kultur, der Ihnen Frieden, Seligkeit, den Himmel, Moksha und Selbstlosigkeit verspricht, der das Problem darstellt. Es ist ein Fehler, den Rest der Kultur - wie Sie sich unterhalten, wie Sie essen, Ihre Arbeitsweisen und die Sprache - von dieser Gegenrealität, die die Kultur geschaffen hat, zu trennen. Die sogenannten Wilden funktionieren ganz genau so, wie wir es heute tun. Im Grunde besteht da keinen Unterschied. Weder in den primitiven noch in den modernen Kulturen gibt es Frieden.

Ihre Botschaft ist, daß der Mensch nicht mit sich in Frieden leben kann. Ist es das, was Sie sagen wollen?

Nein. Der Mensch befindet sich bereits im Frieden mit sich selbst. Die Idee, daß es irgendwo anders, irgendwann in der Zukunft, Frieden geben würde, schafft das Problem. All diese religiösen Erfahrungen wie Mitgefühl, Seligkeit und Liebe sind ein Teil dieses heftigen Verlangens nach einem nichtexistentem Frieden, das so zerstörerisch auf den natürlichen Frieden wirkt, der schon im Körper herrscht.

Kein Frieden. Keine Religion. Kein Mitgefühl. Keine Hoffnung. Was bleibt uns da noch, U.G.?

Nichts. Ich stelle die ganze spirituelle Erfahrung in Frage. Sie ist es, die ich in Stücke reißen möchte.

Was ist mit den wunderschönen, alten und wohldurchdachten Ritualen, die einen so großen Teil unserer religiösen Erfahrung ausmachen? Haben sie in unserem Leben irgendeinen Sinn oder eine Relevanz?

Der Mensch wollte immer auf die eine oder andere Art unterhalten werden. Diese Rituale haben ihn über die Jahre hinweg mit der nötigen Unterhaltung versorgt, jetzt werden sie von Kino, Videos, Fernsehen, Zirkus, J. Krishnamurti-Reden und all diesen Dingen ersetzt. Davon gibt es viele. Jeder versucht seine Zigarettenmarke, seine spezielle Handelsware zu verkaufen. Wir wollen das haben. Es ist ein Markt für diese spirituellen Güter vorhanden. Deshalb ist immer jemand da, der sie Ihnen verkauft. Niemand kann mir dieses Zeug verkaufen, weil ich kein Interesse daran habe. Meinetwegen können die andern es haben.

Ja, aber woran sind Sie interessiert? Was läßt Sie gerne weiterleben?

Was auch immer gerade da ist. Was auch immer in diesem Augenblick geschieht, ist genug für mich.

Sagen Sie es, Sie sind ein Mensch, der im Hier und Jetzt lebt, nicht wahr?

Nein. Es wäre sehr irreführend, es auf diese Weise erklären zu wollen. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll.

Sehen Sie, ich lese Bücher über Science-Fiction. Warum? Weil es da ‘action’ gibt. Ich interessiere mich überhaupt nicht für den Schluß, sondern nur für die laufende Handlung. Es ist wie ein Striptease. Ich finde das Strippen interessant und nicht, wie es endet. Wer interessiert sich schon dafür, wie etwas aufhört? Gleichermaßen sind auch all Ihre Gestern, Ihr ganzes Wissen und besonders Ihr Selbstgefühl ein Ding der Vergangenheit. Diese Erinnerungen sind für Sie voll des emotionalen Gehalts, nicht jedoch für mich. Ich interessiere mich nur dafür, was tatsächlich jetzt geschieht, nicht morgen oder gestern.

Ohne die emotionsgeladenen Erinnerungen von gestern und die Versprechungen von morgen gibt es wenig Raum für Hoffnung, nicht wahr?

Für mich gibt es auch keine Gegenwart und noch viel weniger eine Zukunft. Was es gibt, ist lediglich die Vergangenheit, und sonst nichts. Also bedeutet mir Ihr Schlagwort vom ‘Hier und Jetzt’ gar nichts. In diesem Augenblick ist nur die Vergangenheit wirksam.

Ich weiß nicht, ob ich mich verständlich machen kann. Wenn ich Sie erkenne und mit Ihnen ein Gespräch führe, ist lediglich die Vergangenheit wirksam. Ich sehe die Dinge an. Wenn ich die Dinge erkenne und ihnen einen Namen gebe, ist die Vergangenheit am Werk. Sie projiziert, was sie weiß. Die Zukunft ist, obgleich noch unbestimmt, eine modifizierte Fortführung der Vergangenheit. Was also ist dieses ‘Jetzt’, von dem Sie sprechen? Es gibt so etwas wie ‘diesen Moment’ nicht. Dieser Moment ist kein Ding, das ergriffen oder erfahren werden kann oder dem sich Ausdruck verleihen ließe. In dem Moment, in dem Sie das ergreifen, von dem Sie glauben, daß es ‘dieser Moment’ sei, haben Sie es schon zum Teil der Vergangenheit gemacht.

Das alles bedeutet, daß wir niemals dieselbe Stelle zur selben Zeit am selben Ort berühren können; es ist wie zwei Tonbandgeräte, die im selben Zimmer stehen und sich gegenseitig alte Bänder vorspielen. Es gibt keine Möglichkeit, wie Sie jemandem irgend etwas vermitteln könnten. Es gibt überhaupt keine Kommunikation. Und wenn das voll und ganz verstanden wird, besteht auch überhaupt kein Bedürfnis nach Kommunikation.

Das bedeutet, daß die Versuche des Menschen, die Zukunft vorherzusagen oder im voraus mit Beschlag zu belegen, von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind, nicht wahr? All dieses Gerede über Informationskommunikation, geteiltes Wissen und das Einrichten von Schnittstellen ist einfach Blödsinn?

Ja, das ist es. Darum bleibt dem Menschen jegliche wirkliche Handlungsfreiheit vorenthalten. Wenn Sie eine bestimmte Art von Nahrung oder Musik einer anderen vorziehen, spiegelt das nur Ihre Herkunft und Ihre Kultur wider.

Wenn das, was Sie sagen, wahr ist, dann hat niemand Handlungsfreiheit, denn alles, was man tut, hat eine Ursache, und alle Ursachen haben einen Urgrund.

Aha! Warum nehmen Sie an, daß alles einen Anfang, eine letzte Ursache haben muß? Vielleicht sind Ursache und Wirkung nur etwas Zufälliges, Unbestimmtes. Vielleicht passieren die Ereignisse einfach. Der ganze Evolutionsprozeß ist möglicherweise nur eine Begebenheit, ein ursacheloses Ereignis. Warum müssen Sie darauf bestehen, daß alles einen Schöpfer haben muß, daß das Ganze einer allerletzten Ursache entsprungen sei?

Die neuesten wissenschaftlichen Beweise sagen, daß alles mit einem Urknall, dem Big Bang, begann. Sogar Explosionen haben einen Entzündungspunkt. Die Dinge machen nicht einfach ‘bäng’...

Das ist eine Annahme Ihrerseits. Möglicherweise gibt es keinen Big Bang. Dieser Begriff wird als Gegensatz zu der Vorstellung von der Schöpfung in einem stationären Kosmos gebraucht. Das sind also zwei Theorien, die sich als Wahrheit etablieren wollen. Die eine steht im Wettbewerb zur anderen und versucht sich als die plausiblere der beiden darzustellen.

Aber das ist doch gewiß die Methode, wie neue Ideen in einer vernünftigen Gesellschaft entstehen und wie sie geprüft werden. Es ist etwas Gesundes und nicht etwas Pathologisches, nach Wahrheit und Wissen zu suchen. Es ist an und für sich eine gute Sache.

Ich bin nicht gegen die wissenschaftliche Methode per se. Worauf ich hinweise, ist, daß es keine ‚reine‘ Suche nach Wissen gibt, oder Wissen um seiner selbst willen. So harmlos ist das nicht. Wissen wird, auf wissenschaftliche oder andere Weise, gesucht, weil es Macht schafft. Liebe ist eine Erfindung des Augenblicks und wird dazu benutzt, Macht zu ersetzen. Da Sie in jeder Hinsicht daran gescheitert sind, diesen all-mächtigen Seinszustand auf eine andere Weise oder mittels eines anderen Zugangs zu erringen, haben Sie das erfunden, was Sie Liebe nennen.

Demnach ist Liebe nur ein anderes Wort für das Machtspiel? Ist es das, was Sie uns glauben machen wollen?

Genau so ist es.

Was ist es für eine Art von Liebe, die Mutter Theresa praktiziert? Und was ist mit dem Mitgefühl?

Sie sind beide aus dem gespaltenen Bewußtsein des Menschen entstanden; es wird am Ende genau die gute Sache, für die die Menschen arbeiten und sterben, zunichte machen. Die Leute um Mutter Theresa schlagen aus ihrem Ruhm Kapital. Alles, wofür sie sich jetzt interessieren, ist Geld, um ihr Werk weiterzuführen. Warum sollten diese Dinge alle institutionalisiert werden? Man sieht jemanden, der Schmerzen leidet, hungrig ist. Man reagiert darauf. Das ist alles. Warum sollte das denn institutionalisiert werden? Man korrumpiert dieses Gefühl, diese unmittelbare Reaktion, die mehr ist als ein Gedanke oder eine belanglose Emotion, wenn man versucht, Großzügigkeit und Empathie zu institutionalisieren. Was zählt, ist die unmittelbare Reaktion auf die Situation.

Institutionalisierung ist der Versuch, aus einer einstmaligen Situation und Reaktion eine kontinuierliche und voraussagbare Reaktion zu machen. Die einzelne Tat des guten Samariters wird zu einer Methode, wie man die Dinge im allgemeinen betrachtet und wie man mit ihnen umgeht. Wir werden unseren Nächsten erst dann tatsächlich lieben, wenn das für jedermann zur Selbstverständlichkeit wird, und es nicht nur das Ergebnis vereinzelter, auf Mitgefühl beruhender, guter Werke ist.

Ich sehe das nicht als Mitgefühl an. Es ist das einzige, was sich in einer bestimmten Situation tun läßt, und damit hat es sich. Tiere helfen einander in einem überraschenden Maße. Die Menschen helfen sich ganz natürlich gegenseitig. Wenn diese natürliche Sensibilität durch die Institutionalisierung abgestumpft wird, dann meine ich, ist das kein Mitgefühl. Jedes Ereignis in meinem Leben ist völlig unabhängig von jedem anderen Ereignis. Es gibt nichts, das sie aneinanderreihen oder institutionalisieren würde.

Haben Sie es deshalb so beharrlich abgelehnt, daß Ihre Ansichten verbreitet werden?

Zunächst einmal, habe ich überhaupt keine Ansichten. Sehen Sie, in den Vereinigten Staaten wollten sie, daß ich im Fernsehen auftrete. Sie haben dort ein Programm namens ‘Standpunkt’. Ich sagte ihnen: „Ich habe keinen Standpunkt“. Ich habe keine besondere Botschaft für die Menschheit, noch verspüre ich irgendeinen missionarischen Eifer in mir.

Ich bin kein Retter der Menschheit oder sonst etwas in dieser Richtung. Die Leute kommen hierher. Warum sie kommen, ist nicht meine Sache. Sie kommen aus ihrem eigenen freien Willen, weil sie von mir gehört haben oder aus schierer Neugier. Es spielt keine Rolle. Ein Mensch kann aus einer Vielzahl von Gründen hierher kommen. Er findet, daß ich irgendwie anders bin, eine Rarität, er kann sich keinen Reim auf mich machen oder mich in einem ihm bekannten Rahmen zwängen. Er erzählt das seinen Freunden, und bald stehen auch sie vor der Tür. Ich kann ihnen nicht einfach sagen, sie sollten wieder verschwinden.

Ich bitte sie hereinzukommen, wohlwissend daß es nichts gibt, das ich für sie tun kann. Was kann ich für sie tun? „Kommen Sie herein, nehmen Sie Platz, machen Sie es sich bequem“, ist alles, was ich sagen kann. Einige Menschen machen Tonbandaufnahmen von unseren Gesprächen. Es ist ihr Anliegen, nicht meines. Es ist zunächst einmal ihr Eigentum und nicht meines.

Ich habe kein Interesse daran, die Fragen zu stellen, an denen Sie interessiert sind. Ich habe überhaupt keine Fragen irgendwelcher Art, außer jenen, die mir dabei helfen, im täglichen Leben zu funktionieren. „Wieviel Uhr ist es?“ „Wo ist die Bushaltestelle?“ Das ist alles. Das sind die einfachen Fragen, die nötig sind, um in einer organisierten Gesellschaft zu funktionieren. Ansonsten stelle ich niemals eine Frage.

Sind Sie der Meinung, daß diese Gesellschaft gut organisiert ist?

Sie ist ein Dschungel, den wir geschaffen haben. In dieser Welt kann man nicht überleben. Selbst wenn man versucht, eine Frucht von einem Baum zu pflücken, gehört der Baum einer Person oder einer Gesellschaft. Also muß man Teil der Gesellschaft werden. Daher sage ich immer, daß es nicht die Welt ist, die mir einen Lebensunterhalt schuldet. Wenn ich die Vorteile einer organisierten Gesellschaft genießen will, muß ich etwas dazu beitragen. Diese Gesellschaft hat uns alle geschaffen. Die Gesellschaft ist immer am Status quo interessiert, daran, ihre eigene Kontinuität aufrechtzuerhalten.

Mich hat die Gesellschaft nicht geschaffen. Ein einfacher Akt der Lust hat mich geschaffen.

Das ist wahr. Aber die Lust ist aus dem Denken eines Individuums entstanden, und das wiederum bildet einen wesentlichen Bestandteil der Gesellschaft. Auch die eigentliche genetische Information, die wahrscheinlich jeder Zelle des Körpers innewohnt, wird so weitergegeben, und sie bildet die Basis des Bewußtseins. Die Gesellschaft ist daran interessiert, daß wir alle zu ihrer Kontinuität beitragen, daß wir den Status quo fortbestehen lassen. Die Gesellschaft wird natürlich einige geringfügige  Modifikationen zulassen, aber nicht mehr.

Was trägt also ein Mann wie ich zur Gesellschaft bei? Nichts. Wie also könnte ich etwas von der Gesellschaft erwarten? Die Gesellschaft schuldet mir kein Auskommen. Auf der andern Seite ist das, was ich sage, für die Gesellschaft, so wie sie gegenwärtig organisiert ist, eine Bedrohung. Die Art, wie ich denke, funktioniere und arbeite stellt für die gegenwärtige Gesellschaft eine Bedrohung dar. Wenn ich zu einer wirklichen Bedrohung werde, wird mich diese Gesellschaft liquidieren. Ich habe kein Interesse daran, zu einem Märtyrer oder ähnlichem zu werden. Das interessiert mich überhaupt nicht. Wenn sie also sagen: „Reden Sie nicht,“ ist das gut. Ich muß nicht reden.

Haben Sie kein Vertrauen in die Menschen, so wie J. Krishnamurti es hat?

Nein, nein. Überhaupt nicht, überhaupt nicht.

Wenn die Menschen von mir erwarten, daß ich zum Märtyrer werde, um so ihren Glauben an sich selbst wiederbeleben zu können, werden sie sehr enttäuscht sein. Es ist ihr Problem und nicht meines. Wenn sie finden, daß ich für die Gesellschaft eine Bedrohung darstelle, was können sie tun? Sie können mich foltern, wie sie das in den kommunistischen Ländern tun. Was dann? Würde ich mich weiterhin gegen den Staat aussprechen? Ich weiß wirklich nicht, was ich tun würde. Ich ergehe mich nicht in hypothetischen Situationen.

Wie sind Ihre politischen Ansichten? Haben Sie politische Ansichten über diese Gesellschaft hier? Glauben Sie an eine bestimmte Regierungsform, und nehmen Sie in politischen Fragen Partei?

Ich habe über jedes verdammte Ding, von der Krankheit bis zur Gottheit, eine Meinung, denn ich habe mir all dieses Wissen durch Studium, Reisen, Erfahrung und dergleichen erworben. Aber meine Meinungen sind nicht von größerer Bedeutung als die des Dienstmädchens, das hier putzt und kocht. Warum sollte meinen Ansichten und Meinungen irgendeine Bedeutung zugemessen werden?

Sie können vielleicht sagen, daß ich ein belesener Mann sei, und daß ich als Ergebnis meiner Lektüre, meiner Reisen und meiner Gespräche mit Intellektuellen, Wissenschaftlern und Philosophen das Recht hätte, meinen Ansichten über alles Ausdruck zu geben. Aber nichts von dem, was ich sage oder glaube, ist wichtig. Verstehen Sie das? Damit will ich darauf hinweisen, daß all das Wissen, das Sie so stolz zur Schau tragen, keinen Pfifferling wert ist.

Warum ist Wissen für uns so wichtig geworden?

Weil es Ihnen Macht verleiht. Wie ich schon ganz zu Anfang sagte, Wissen ist Macht. Ich weiß, du weißt nicht. Ich habe religiöse Erfahrungen, und Du hast sie nicht. Es ist also die Kunst, dem anderen immer einen Schritt voraus zu sein, reine Angeberei.

Trägt Ihre Vergangenheit mit der Theosophischen Gesellschaft in irgendeiner Weise zur Gesamtsumme Ihres Lebensverständnisses bei? Wissen Sie, all der astrale Kram, Blavatskys Hokuspokus, Leadbeaters Päderastie und der übliche faule Zauber des theosophischen Zirkus?

Was immer mit mir geschehen ist, ist nicht deswegen geschehen, sondern dessen ungeachtet. Und das ist ein Wunder. Ich weiß es wirklich nicht. Ich bin kein Mann von Demut oder so etwas. Wenn ich auf diese Situation zurückblicke, kann ich Ihnen wirklich nicht sagen, worum es dabei eigentlich ging. Alles, was ich weiß, ist, daß ich frei bin von meiner Vergangenheit, und dem Himmel sei Dank dafür.

Sagen Sie uns, was halten Sie von ‘dem Weisen, der alleine wandelt’, J. Krishnamurti, dem Mann mit dem Sie sich zerstritten haben.

Ich glaube, daß er ein gewaltiger Hochstapler ist. Das ist es, was ich gegen J. Krishnamurti habe. Er ist nie sauber aus der Sache herausgekommen. Wenn Sie ihn fragen, warum das so ist, wird er argumentieren, daß alles, was er sagt, zur einer Autorität für oder gegen ihn erhoben wird. Aber es ist eine politische Position, die er eingenommen hat. Er ist tatsächlich zu einer Autoritätsfigur für Hunderte und Tausende von Menschen geworden.

Und das ist etwas, was Sie nicht werden möchten?

Nein, das will ich nicht sein. Mir stinkt das Ganze.

Aber die Chance, Menschen zu beeinflussen, die Geschichte zu ändern...

Nein, niemals. Ich sage...

Ist es so, daß Sie es ablehnen, Macht auszuüben, jetzt, da Sie darüber verfügen, oder lehnen Sie gerade die Idee, das Prinzip der Macht über andere ab?

Es ist das Verständnis. Es ist ein Wissen, das mir aufgegangen ist. Ich kann es niemandem mitteilen, und noch weniger kann ich es anderen anempfehlen.

Natürlich. Aber wenn man außerhalb des ganzen korrupten Gebiets der Machtspiele agieren will, muß man dann nicht wirklich demütig sein?

Nein, Demut ist ein Kunstgriff, den man anwendet. Es gibt keine Demut. Solange Sie wissen, haben Sie keine Demut. Das Bekannte und die Demut können nicht koexistieren.

Wenn ich das sage, gebe ich Ihnen keine neue Definition der Demut. Ich glaube, daß es so etwas wie Demut überhaupt nicht gibt. Ich befinde mich einfach nicht mit der Gesellschaft in Konflikt; es kommt mir also nicht in den Sinn, das Gegenteil der Brutalität auf dieser Welt - Demut - zu schaffen. Die Gesellschaft kann nicht anders sein, als sie es ist. Da also kein Bedarf besteht, einen Wandel in mir hervorzurufen, gibt es auch kein korrespondierendes Verlangen danach, die Gesellschaft zu ändern. Ich bin kein Reformer. Ich bin auch kein Revolutionär. Tatsächlich gibt es so etwas wie Revolution überhaupt nicht. Das ist alles Schwindel. Es ist nur eine weitere Handelsware, die auf dem Marktplatz verkauft werden soll, um leichtgläubige Menschen hereinzulegen.

Mit anderen Worten, es gibt keinen Unterschied zwischen der Welt Gandhis und der Ho Tschi Minhs, oder zwischen den Werten, die Christus propagiert hat und denen, für die Lenin gekämpft hat?

Das ist richtig. Gar keinen Unterschied.

Sagen Sie mir etwas: J. Krishnamurti hat mir während eines Gesprächs gesagt, daß seine gesamte Weltanschauung deshalb fortbesteht, weil er das Leben von einem unvoreingenommenem Standpunkt aus sieht. Er ist nicht der erste, der das sagt. Viele große Menschen aus Religion und Kunst haben das gleiche gesagt. Stimmen Sie damit überein, daß derjenige mehr Klarheit besitzt, der abseits steht?

Hat Krishnamurti das gesagt, oder seine Anhänger?

Er behauptet, er habe keine Anhänger.

Zunächst einmal, ich habe keine Weltanschauung und kein Gedankengebäude, das Ihnen helfen kann.

Aber Sie haben möglicherweise ein Gedankengebäude geschaffen, das Ihnen hilft.

Mir hilft nichts. Diese Gewißheit, die ich besitze, ist etwas, das sich niemand anderem vermitteln läßt. Und außerdem hat diese Gewißheit gar keinen Wert.

Wie sind Sie zu dieser Gewißheit gelangt?

Ich bin zufällig darauf gestoßen. Sehen Sie, meine Grundschulung fand in Madras statt, in einer Umgebung, die auch J. Krishnamurti hervorgebracht hat. Ich war von religiösen Menschen umgeben, allen möglichen seltsamen Leuten. Ich habe früh erkannt, daß sie alle Schwindler waren, deren Leben und Lehren meilenweit auseinanderklafften. Also war das für mich ohne Wert. Ich weiß alles über diese Retter, Heiligen und Weisen. Sie haben sich alle selbst betrogen und auch jedermann sonst zum Narren gehalten. Aber seien Sie sich dessen sicher, daß mich niemand zum Narren hält. Ich bin in der Lage sagen zu können, daß sie alle falsch sind.

Die ‘Wandlung’ - wenn Sie dieses Wort benutzen wollen - die in mir vorgegangen ist, ist eine rein physiologische Begebenheit mit keinerlei mystischen oder spirituellen Nebenbedeutungen. Jeder, der einem physikalischen Ereignis einen religiösen Anstrich gibt, führt sich selbst und die ganze Menschheit hinters Licht. Je schlauer und listiger Sie sind, desto erfolgreicher werden Sie darin sein, die Menschen überzeugen zu können. Also werden die Menschen Ihnen Macht verleihen, die Sie dann wieder auf die anderen projizieren. Sie erhalten enorme Macht von Ihren Anhängern, und projizieren sie dann wieder auf diese zurück. Das nun wiederum verschafft Ihnen die Illusion, daß alle Menschen in Ihrer Umgebung davon beeinflußt würden. Sie machen daraufhin eine lächerliche Aussage, wie, Sie hätten die Gesamtheit des menschlichen Bewußtseins beeinflußt. Tatsächlich aber hat das alles aber  überhaupt keinen psychologischen oder sozialen Gehalt.

Es ist nicht so, daß ich antisozial wäre. Wie ich schon sagte, stehe ich nicht mit der Gesellschaft in Konflikt. Ich werde keine Tempel und Kirchen zerstören oder Bücher verbrennen. Nichts dergleichen. Der Mensch kann nichts anderes sein als das, was er ist. Was immer er ist, er wird eine Gesellschaft schaffen, die ihn widerspiegelt.

Ja. Aber wie sind Sie auf solche Weisheit gestoßen?

Aha! Das ist die Frage!

Offenbar haben Sie sie nicht dadurch erworben, in dem Sie im Mondenschein unter einem Baum saßen...

Nein, da gibt es nichts zu erwerben...

Ich meine damit nicht irgendeine romantische Errungenschaft, sondern die Gewißheit, über die Sie verfügen. Sie besitzen eine Gewißheit, das ist alles. Ich spüre, daß ich und andere sie nicht haben. Und ich weiß nicht, wie ich sie bekommen kann.

Sie müssen Ihre fundamentale Frage finden. Meine fundamentale Frage war: „Gibt es etwas, das hinter den Abstraktionen liegt, mit denen die Geistlichen mich konfrontieren?“ Ist da wirklich etwas wie Erleuchtung oder Selbsterkenntnis? Ich wollte das nicht selbst haben, ich hatte nur diese Frage. Daher mußte ich natürlich experimentieren. Ich habe so viele Dinge ausprobiert, dieses und jenes, alles für eine Weile. Eines Tages findet man dann heraus, daß es nichts herauszufinden gibt. Man lehnt all diese Dinge vollkommen ab. Diese Ablehnung ist dann kein Denkvorgang mehr und auch kein oberflächliches Verleugnen. Man wendet sie nicht an, um etwas zu erreichen oder zu bekommen.

So wie das Bedürfnis, etwas Spirituelles zu erlangen...

Es gibt nichts, was man bekommen kann. Es gibt nichts zu finden oder herauszufinden. Es gibt nur das Verständnis, daß es nichts zu verstehen gibt. Selbst das ist eine unterstellende Aussage. In anderen Worten, es gibt nichts zu verstehen.

Die Tatsache, daß es nichts zu verstehen gibt, ist Ihnen Gewißheit, mir jedoch nicht.

Sehen Sie, zunächst einmal haben Sie nicht genug Hunger und Durst, um darauf eine Antwort zu finden. Also können Sie auch nichts tun. Alles, was Sie tun, läßt es nur länger andauern und hält Ihren Hunger in Schach. Was anscheinend mit mir geschah, ist nicht, daß mein Hunger etwa mit Brotkrumen oder mit einem ganzen Brotlaib gestillt worden wäre, sondern, der Hunger fand keine zufriedenstellende Antwort und verzehrte sich selbst. Auch diese Durststiller haben mir nicht geholfen, meinen Durst zu stillen. Aber irgendwie hat sich mein Durst selbst verbrannt. Ich bin der Fall eines ausgebrannten Menschen, aber nicht in dem Sinne, wie Sie diesen Ausdruck gebrauchen. Es ist eine ganz andere Art des Ausgebranntseins.

Jetzt ist da etwas Lebendiges. Es besteht kein Bedürfnis nach Kommunikation. Auf dieser Ebene ist keine Kommunikation möglich. Es gibt kein Verlangen mehr danach, etwas zu wissen oder Gewißheit zu haben.

Ich verstehe nicht...

Es ist wie mit dem Baum da draußen. Was wollen Sie mit den Bäumen tun? Denen ist auch nicht bewußt, daß sie nützlich für andere Lebensformen sind, daß sie Schatten spenden.... Ebenso wie dem Baum, ist auch mir nie bewußt, daß ich jemandem einen Dienst erweisen könnte.

Haben Sie denn keine einfachen achtbaren Gefühle wie Zuneigung zu einem anderen, Liebe, oder sogar Lust? Haben Sie niemals eine schöne Frau gesehen und mit ihr schlafen wollen?

Der Lauf des Begehrens ist so schnell, daß es hier nicht anhält. Da ist etwas - ich würde nicht sagen, daß es interessanter oder attraktiver wäre - aber es verändert diesen Lauf und erfordert die volle Aufmerksamkeit. Alles, was in diesem Moment geschieht, macht es erforderlich, daß man sich ihm voll und ganz zuwendet. In diesem Zustand gibt es nicht länger zweierlei Dinge - der Liebende und die Geliebte, der Verfolger und das Verfolgte. Was Sie ‘eine schöne Frau’ nennen - und was eine Idee ist - macht etwas anderem Platz. Und dann kommt die Zeit, wo man sie nicht mehr auf die alte Weise lieben kann.

Heißt das, wenn Sie eine schöne Frau sehen, sind Sie ganz involviert, ohne sich selbst involvieren zu müssen?

Da ist kein Gedanke, daß sie eine Frau ist. Sie sehen in diesem Fall das, was eine schöne Frau Ihnen geben kann. Das „Was kann ich von dieser Frau bekommen?“ ist hier nicht. Die Dinge sind ständig in Bewegung. All dies besitzt überhaupt keinen religiösen Gehalt.

Vergessen Sie die Religion. Wir sprechen von schönen Frauen. Sie sagen, daß sie auf eine andere Art auf Sie wirken würden. Sie zeigen nicht diese Obsession mit Sex, wie viele von uns es tun, wenn wir in der Gesellschaft schöner Frauen sind. Und doch werden Sie beeinflußt. Ich bin besessen von schönen Frauen und Sex, und ich möchte den Einfluß, den das auf mich hat, reduzieren. Wie kann ich in dieser Sache etwas mehr Objektivität gewinnen, so wie Sie das zu haben scheinen?

Es ist so ein Theater, sich damit abzugeben. Bitte vergessen Sie nicht...

Glauben Sie nicht, daß ein Individuum, das das Licht gesehen hat, den Weg für andere erleuchten sollte? Spüren Sie kein Verantwortungsgefühl für Ihre Mitmenschen? Obliegt Ihnen nicht die Pflicht, jene Wahrheit mit der Welt zu teilen, auf die Sie ‘zufällig gestoßen’ sind?

Nein. Ich habe keine Möglichkeit, sie zu vermitteln, und Sie haben keine Möglichkeit, sie zu kennen.

Ja, aber möchten Sie Ihre Umgebung nicht inspirieren?

Inspiration bedeutet nichts. So viele Dinge und Menschen inspirieren uns, aber die Handlungen, die der Inspiration entspringen, sind sinnlos. Es sind die verlorenen, verzweifelten Menschen, die einen Markt für Inspiration schaffen. Also bin ich nicht daran interessiert, irgend jemanden zu inspirieren. Das ganze inspirierte Handeln wird schließlich Sie und Ihre Art zerstören. Das ist ein Faktum!

Gibt es eine Möglichkeit, das zu verhindern? Ist das Leben denn nicht das einzige Allheilmittel?

Was wollen Sie denn verhindern? In Ihnen werden Liebe und Haß geboren. Ich formuliere es nicht gerne so, denn Liebe und Haß sind nicht das entgegengesetzte Ende desselben Spektrums; sie sind ein und dasselbe.

Wenn Sie nicht das von der sogenannten Liebe zurückbekommen, was Sie erwarten, ist der Haß da. Wahrscheinlich gefällt es Ihnen nicht, wenn ich das Wort ‘Haß’ gebrauche, aber es ist gleichbedeutend mit Apathie und Gleichgültigkeit. Ich glaube, daß Haß und Liebe dasselbe sind. Das sage ich den Menschen, wo immer ich hinkomme, auf der ganzen Welt.

Sie verbringen jedes Jahr vier Monate in Amerika, vier Monate in Indien und vier Monate in der Schweiz. Das kommt den üblichen Reiseplänen von J. Krishnamurti gefährlich nahe, meinen Sie nicht? Er legt Jahr für Jahr eine fast identische Route zurück.

Ich weiß nicht, warum er das tut. Was für meine Bewegungen verantwortlich ist, ist das Wetter. Wenn es in Indien zu heiß ist, gehe ich in die Schweiz. Wenn es in der Schweiz zu kalt wird, ziehe ich nach Kalifornien und dann wieder zurück nach Indien. Die ganze Krishnamurtigeschichte interessiert mich nicht mehr.

Vielleicht. Aber Sie müssen das Ganze doch sorgfältig beobachtet haben, denn Sie waren lange Zeit ein Teil davon. Jeder weiß von Ihrem damaligen Interesse an J. Krishnamurti und von der Tatsache, daß Sie schließlich mit ihm gebrochen haben.

Früher besaß er keine riesige Organisation, wie er sie jetzt hat. Es war eine kleine, einfache Organisation, die ein paar Bücher veröffentlichte. Er ist ein wenig herumgereist und hat öffentliche Vorträge gehalten, die von Freunden auf informeller Basis organisiert wurden. Damit hatte es sich. Jetzt aber ist das ein Konzern mit beschränkter Haftung, eine Wachstumsindustrie wie jedes andere Geschäft auch. Diese Art Organisation, über die er jetzt verfügt, mit weltweitem Grundbesitz, Treuhänderausschüssen, Tresoren mit versicherten Tonbandaufnahmen und Millionen von Dollar, all das steht im Gegensatz zu seiner fundamentalen Lehre, nämlich, daß sich die Wahrheit nicht organisieren läßt. Er sollte nicht im Namen der Spiritualität ein Weltreich errichten.

Haben Sie jemals einige der ‘Gottesmänner’ Indiens getroffen? Wissen Sie, die berühmten, die sich mit dem ‘Heiligen Geschäft’ eine goldene Nase verdienen?

Nein, ich war niemals ein spiritueller Einkäufer. Ich habe einige von ihnen für einige Minuten auf meinen Reisen getroffen, das ist alles.

Was ich bin, ist aus meinem eigenen Kampf heraus entstanden. Ich habe für mich selbst alles über mich selbst gelernt. Mich ärgern sowohl die säkularen als auch die spirituellen Weltanschauungen. Die Gurus und Gottesmänner sind daher von keinerlei Interesse für mich. Wir haben sie in die Vereinigten Staaten und nach Europa exportiert. Und dort haben sie auch noch ihre eigenen...

Ja, der Reverend Moon, Jim Jones, der Schurken genug...

Da gibt es jetzt noch einen Jones: Da Jones, „der, der gibt“ in Sanskrit. Jeder heilige Betrug ist dort willkommen, sei er aus Indonesien, Japan, Indien oder Nepal. Wenn sie im Westen populär genug werden, genügend Aufsehen erregt haben, dann bringen wir sie zurück nach Indien. Es ist ähnlich wie mit den indischen Frauen, die aus dem Westen Saris mitbringen, um sie hier zu tragen. Dort bezahlen sie dreimal so viel.

Haben Sie je Maharshi Yogi in der Schweiz getroffen?

Nein, nie. Ich verlasse mein Zimmer nicht, also kann ich nichts sagen. Ich bin nicht auf dem laufenden, was hier in Indien vor sich geht. Ich lege keinen Wert auf die hiesigen Zeitungen, also lese ich sie nicht. Was in Indien passiert, interessiert mich nicht, denn was dort geschieht, hat keine wirklichen Auswirkungen auf die Welt. Indien ist nicht in der Lage, die Welt zu beeinflussen. Obwohl es keine sichere Methode gibt, Meinungen in spirituelle, politische und sonstige aufzuteilen, können Sie das meinetwegen als eine politische Meinung bezeichnen.

Wie könnte Indien die Richtung weisen oder die Welt beeinflussen? Dazu besitzt Indien weder die Macht noch den moralischen Status. Die Spiritualität, auf die Sie einen Anspruch erheben, wird im Leben des Landes nicht wirksam. Sie müssen es der Welt zeigen, daß die Einheit des Lebens, die Sie seit Jahrhunderten predigen, im täglichen Leben dieses Landes genau so funktioniert wie im Leben des Einzelnen. Das ist schwierig.

Niemand interessiert sich dafür, was Indien sagt oder tut. Es fehlt ihm an der nötigen Statur, die Weltereignisse mitzugestalten. Das einzige, was den Rest der Welt an Indien interessiert, ist die Frage „Was wird mit den vielen, vielen Millionen Menschen dort geschehen? In welche Richtung, zu welchem Lager hin wird sich das Land bewegen?“ Sonst nichts.

Hilft eine Religion wie der Marxismus? Er besitzt eine besondere Art von spirituellem Gehalt. Er scheint von einem breiteren und weniger archaischen Bezugssystem auszugehen.

Der Marxismus als Religion ist gescheitert. Auch der Maoismus ist tot. Selbst die marxistischen Länder sehen sich jetzt nach einem neuen Gott um. Sie haben den Glauben an den Menschen verloren und suchen nun wieder nach einem neuen Gott, einer neuen Kirche, einer neuen Bibel und einem neuen Priester. Die Suche nach einer neuen Art von Freiheit hat begonnen.

Aber der Hinduismus gesteht dem Menschen doch viel Freiheit zu. Er war nie eine konservative Religion wie das Christentum, der Islam oder der Marxismus.

Der einzige Unterschied zwischen Ost und West liegt in unseren Religionen. Das Christentum hat keine so seltsamen Charaktere hervorgebracht wie wir in diesem Land. Hier ist die Religion eine individuelle Angelegenheit. Jeder hat seinen eigenen Laden eröffnet und verkauft seine eigene Ware. Daher haben wir hier diese Vielfalt, die im Westen fehlt. Diese Vielfalt ist der attraktivste Teil unseres sogenannten religiösen Erbes.

Der Hinduismus ist keine Religion. Er ist eine Kombination und Konfusion aus vielen Dingen. Das eigentliche Wort ‘Hindu’ kommt von einem vergessenen, nicht aus dem Sanskrit stammenden Wort, das nicht mehr verwendet wird. Sie können das nicht wissen. Die eindringenden Arier, die die brahmanische soziale Struktur aufgebaut haben, fanden, daß die eingeborenen Inder eine dunkle Haut hatten und nannten ihre Religion die Religion der Schwarzen - der ‘Hindus’. Die Scholaren und Panditas werden meine Interpretation nicht mögen, aber sie ist historisch und korrekt.

Ich wiederhole noch einmal, der Hinduismus ist keine Religion im üblichen Sinne; er ist wie eine Straße mit Hunderten von Läden.

Sie meinen, Rajneeshs Sex-Shop neben J. Krishnamurtis Gewahrseinsgeschäft, das neben Maharshis Meditationsladen ist, der neben Sai Babas Zauberladen liegt, der neben....

Im Grunde sind sie alle gleich, sie sind genau dasselbe. Jeder behauptet von sich, daß seine Ware die beste sei, die sich auf dem Markt befindet. Einige Artikel, wie zum Beispiel Pears Seife, sind schon so lange auf dem Markt, daß die Menschen sie kennen, sich auf sie verlassen und glauben, sie seien den anderen überlegen. Aber die Dauerhaftigkeit eines bestimmten Produkts hat nicht sehr viel zu bedeuten.

Was halten Sie von der indischen Unterhaltungsindustrie? Man sagt, daß der größte Teil Ihrer Anhängerschaft aus dieser Branche käme?

In diesem Land ist alles Unterhaltung. Die Politiker werden von der Einfältigkeit der Menschen reich. Die Religionen von ihrer Leichtgläubigkeit. Nun, wir sind verdammte Narren. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Mit einer solchen Meinung über die Menschheit werden Sie sicherlich keine großen Hoffnungen für die Zukunft der Rasse hegen...

Ich glaube nicht, daß irgend etwas geschehen wird, um die Situation des Menschen zu verbessern.

Aber gewiß verspricht doch der unglaubliche technische Fortschritt, der vor allem im Westen in den letzten hundert Jahren stattgefunden hat, etwas Gutes.

Das ist wahr. Aber das geschah durch die industrielle Revolution. Nationen wie Rußland, die USA und andere westliche Nationen haben die industrielle Revolution genutzt, um die Technologie voranzutreiben.

Der Mensch scheint in den letzten hundert Jahren größere Fortschritte gemacht zu haben als in den vorhergehenden vier Milliarden Jahren.

Genau das sage ich auch. Auf Grund der industriellen Revolution, überrollen nun weitreichende Veränderungen die Welt. Wie effektiv diese Veränderungen sein werden, wissen nur die Götter. Das Regime von Technologie und Wissenschaft entschwindet schon...

Wohin, glauben Sie, wird uns das alles führen?

Warum sollte es uns irgendwohin führen? Warum? Wozu? ‘Progression’ bedeutet, ‘in Feindesland vordringen’. Sie haben die Hoffnung, daß der ungehinderte Fortschritt uns eine Lösung unserer Probleme bringen wird. Wenn das so klar wäre, dann könnten wir ebensogut unsere Computer programmieren und sie befragen, was sie uns bezüglich unserer Zukunft und unseres Schicksals zu sagen haben.

Aber wenn wir nichts weiter sind als das Endresultat unserer Vergangenheit, dann wird die Voraussage doch einfach und genau...

Das wird uns keine Garantie dafür liefern, wohin uns die Zukunft führen wird.

Nein, wir haben keine Kontrolle über unsere Zukunft.

Etwas Unerwartetes und Unvorhersehbares geschieht, und der ganze Kurs ändert sich plötzlich. Wir betrachten es als selbstverständlich, daß wir das Leben in die gewünschte Richtung lenken können, aber es gibt keine Garantie dafür, daß uns das auch gelingen wird. Die Ereignisse sind wirklich voneinander unabhängig. Wir schaffen sie und fügen sie zusammen. Wir haben die philosophische Struktur des Denkens geschaffen, aber das heißt nicht, daß es ein Muster oder einen Zweck für alles gäbe. Und es will auch nicht heißen, daß alles vorbestimmt ist.

Aber was ist mit der Hoffnung? Der Mensch lebt doch von der Hoffnung.

Der Mensch hat immer in Hoffnung gelebt und wird wahrscheinlich in Hoffnung sterben. Angesichts der ungeheuren destruktiven Macht, über die er jetzt verfügt, wird er wahrscheinlich jede andere Lebensform mit sich nehmen, wenn er abgeht. Das ist nicht mein Lied vom Weltuntergang, aber wenn man sich unsere Situation realistisch betrachtet, scheint das unser aller Los zu sein, ob uns das gefällt oder nicht. Sie befinden sich im Irrtum, wenn Sie denken oder glauben, daß wir die ganze Eigendynamik der menschlichen Geschichte auf eine andere Spur lenken könnten. Wir müssen von diesen Rettern errettet werden, die uns versprechen, das Neue Zeitalter läge gleich um die Ecke.

Wie kann man denn etwas zur Rettung beitragen?

Das ‘Wie’ schafft einen neuen Retter.

Ja, aber gibt es außer dem Spirituellen noch eine andere Möglichkeit, den Kurs zu ändern?

Sehen Sie, zunächst einmal ist es für mich völlig bedeutungslos, das Leben in ein geistiges und ein materielles aufzuteilen. All dieser Blödsinn über das spirituelle Leben ist aus der Annahme heraus entstanden, daß es einen Geist gäbe, der eine eigenständige, unabhängige Existenz hätte. Diese Annahme ergibt keinen Sinn.

Was ist mit der Vorstellung, daß der Körper zwar vergeht, der Geist aber weiterbesteht?

Das ist nur ein Glaube. Es hat überhaupt nichts zu bedeuten. Mir ist es nicht möglich, Ihnen diese Gewißheit zu übermitteln. Wenn ich gestorben bin, wird es nichts geben, das wiederaufersteht oder sich wieder inkarniert. Es hat keinen Sinn, daß Sie über das Jenseits spekulieren.

Der Körper selbst scheint durch die Fortpflanzung eine Art Unsterblichkeit zu suchen.

Das ist die Natur des Lebens. Der Überlebenstrieb und das Bedürfnis, sein eigenes Selbst fortzupflanzen, ist dem Wesen des Lebens inhärent. Ihre Sexualität, Ihre Nachkommen, Ihre Familienstruktur und noch vieles mehr, ist eine Erweiterung des fundamentalen natürlichen Überlebens- und Fortpflanzungtriebes.

Also ist wirklich alles aus, wenn man stirbt...?

Wenn dieser Körper begraben wird und mit ihm die Erinnerungen, die die Menschen an mich haben, dann wird das mein Ende sein.

Einige Ihrer Anhänger wollen Ihre Asche verstreuen...

Wozu? Die Leute fragen mich oft: „Wollen Sie keine Anweisungen dahingehend hinterlassen, wie wir über Ihren Leichnam verfügen sollen?“ Zum Teufel damit! Wer will schon irgendwelche Anweisungen hinterlassen? Er wird anfangen zu stinken und zu einer Belästigung für die Gesellschaft werden. Das ist nicht mein Problem, sondern das der Gesellschaft. Ich bin schon in der Hölle; ich brauche nicht zu sterben, um dahin zu kommen.

Sie haben irgendwo eine Familie, nicht wahr?

Meine zwei Töchter sind in Hyderabad. Einer meiner Söhne, Vasant, ist kürzlich an Krebs gestorben. Der andere, Kumar, ist jünger und wurde in Amerika geboren. Er ist dort jetzt Elektronikingenieur. Ich sehe ihn gelegentlich, wenn ich die USA besuche. Ich habe nicht viel Kontakt zu meiner Familie. Manchmal kommen sie und besuchen mich. Das ist alles. Ich habe keine emotionalen Bindungen zu ihnen, noch zu sonst irgend jemandem, was das anlangt. Selbst nicht zu Valentine, der alten schweizer Dame, mit der ich die letzten zwanzig Jahre zusammengewesen bin. Ich glaube, ich habe zu niemandem eine emotionale Bindung.

Waren Sie jemals jemandem emotional verbunden?

Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich war ich das nicht, nicht einmal mit meiner Frau, mit der ich zwanzig Jahre zusammengelebt habe. Ich weiß wirklich nicht, was für Bindungen man haben sollte.

Hatten Sie niemals ein überwältigendes Gefühl einem anderen Menschen gegenüber, egal ob Mann oder Frau?

Ich war vor allem davon besessen, die Antwort auf meine Frage zu finden. Sie war es, die den Vorrang vor allem anderen hatte. Was lag hinter den Abstraktionen, mit denen mich diese Leute, einschließlich J. Krishnamurtis, konfrontierten? Wenn es da nichts weiter gibt, wie ist es dann möglich, daß sie all dieses Unheil auf der Welt geschaffen haben? Ich verstand, daß man sich selbst und andere hinters Licht führen kann; aber ich wollte eine Antwort haben. Ich bekam niemals eine Antwort. Die Frage hat sich einfach selbst verzehrt.

Das heißt nicht, daß ich erleuchtet bin oder die Wahrheit kenne. Diejenigen, die solche Dinge behaupten, haben sich und andere zum Narren gehalten. Sie haben alle Unrecht. Nicht, daß ich ihnen überlegen wäre oder dergleichen; es ist nur so, daß sie Behauptungen aufstellen, die überhaupt keinerlei reale Basis haben. Das war und ist meine Gewißheit. Keine Macht der Welt kann mich dazu bringen, irgend etwas zu akzeptieren. Also stehe ich nicht mit der Machtstruktur in Konflikt. Ich habe kein Interesse daran, irgend jemandem etwas wegzunehmen.

Wir spüren ein Art Ferne und Desinteresse in Ihnen. Sind Sie niemals von etwas hingerissen gewesen, zum Beispiel einer schönen Frau, einem schönen Sonnenuntergang oder einem schönen Musikstück? Hat Sie niemals etwas völlig versinken lassen und Sie dazu gebracht, daß Sie von allem weg wollten, ich weiß nicht, wohin...?

Was immer ich gewesen bin, oder auch nicht, ich war niemals in dem Sinne ein Romantiker. All das ist bloße Romantik, und sie besitzt keine Realität für mich. Mir hat niemals etwas den Boden unter den Füßen weggezogen oder wird es jemals tun. Es ist auch nicht so, daß ich das Gegenteil davon wäre, ein Mann der Vernunft. Es ist das Element der Vernunft in mir, das gegen sich selbst revoltierte. Ich bin nicht antirational, nur unrational. Sie ordnen möglicherweise dem, was ich sage, eine rationale Bedeutung bei, aber das tun Sie, nicht ich. Ich interessiere mich nicht für die Suche nach Glück, die Romanzen und die Fluchten anderer Leute...

Es könnte doch mehr sein als bloßer Romantizismus. Es könnte Selbstvergessenheit, eine verrückte, tolle oder fürchterliche, großartige spirituelle oder sexuelle Erfahrung sein.

Hier gibt es keine Erfahrung. Wie also könnte es diese dramatischen verrückten Erfahrungen geben? Ich habe keine Möglichkeit, mich von den Ereignissen zu trennen; ich und das Ereignis sind ein und dasselbe. Ich bin dessen sicher, daß Sie es nicht gerne  hätten, wenn ich zum Thema Sex einige unfeine Dinge von mir geben würde. Es geht dabei lediglich um einen Spannungsausgleich. Ich sehe diese Dinge nicht in einem romantischen Licht. Einmal sagte ich zu meiner Frau: „Sprich mir nicht von Liebe und Intimität; was uns zusammenhält, ist Sex. Das Problem ist, daß ich aus irgendwelchen Gründen keinen Sex mit einer anderen Frau haben kann. Das ist mein Problem. Es ist mir nicht möglich, mich von diesem Problem zu befreien.“ Ich weiß nicht, ob das alles für Sie einen Sinn ergibt. All dieses Gerede über Liebe hat mir nie etwas bedeutet. Das ist das Ende dieser Obsession mit dem Sex.

Aber an einem bestimmten Lebensabschnitt haben Sie dann mit einer anderen Frau geschlafen...

Ja, aber das war eine Situation, die ich nicht selbst geschaffen hatte. Ich will nicht sagen, daß ich verführt wurde. Es spielt keine Rolle, ob man jemand anderen verführt oder ob man selbst verführt wird. Tatsache ist, daß man es tut. Es war nicht diese Person, die dafür verantwortlich war. Ich war selbst verantwortlich. In diesem Fall hatte das mit einer besonderen Art von Autoerotizismus zu tun.

Wie können Sie das sagen?

Ich habe diese Person benutzt. Es ist etwas Schreckliches, jemanden zum Vergnügen zu benutzen. Gleichgültig, ob es sich um eine Idee, eine Konzeption, eine Droge, einen Menschen oder sonst etwas handelt, es ist Ihnen nicht möglich, sich zu vergnügen, ohne etwas dazu zu benutzen. Das erfüllte mich mit Abscheu. Worüber lachen Sie? So ist mein Leben. Nehmen Sie’s, oder lassen Sie es bleiben.

Ich bin nicht daran interessiert, jemanden zu benutzen, zu beeinflussen oder zu ändern. Dies ist eine Darstellung dessen, wie ich bin und wie ich gelebt habe, und nichts weiter. Das wird keinen besonderen Wert für die Menschheit darstellen und sollte nicht für die Nachwelt erhalten werden. Ich glaube nicht an die Nachwelt. Ich habe keine Lehre. Es gibt nichts zu bewahren. Das Wort ‚Lehre‘ impliziert, daß es etwas gäbe, was dazu verwendet werden kann, eine Veränderung herbeizuführen. Es tut mir leid... Hier gibt es keine Lehre, nur ungegliederte, zusammenhangslose Sätze. Es gibt lediglich Ihre Interpretation, entweder des geschriebenen oder des gesprochenen Wortes, und sonst nichts. Die Antworten, die Sie bekommen, sind Ihre eigenen. Sie sind Ihr Eigentum, nicht meines. Aus diesem Grunde gibt es keinerlei Copyright auf das, was ich sage, weder jetzt, noch irgendwann in der Zukunft. Ich erhebe keine Ansprüche.

Sagen Sie mir, U.G., wie war Ihre Kindheit?

Meine Mutter starb, als ich sieben Tage alt war. Meine Großeltern mütterlicherseits sorgten für mich. Mein Großvater war ein Theosoph. Er war ein wohlhabender Mann, und er prägte dem ganzen Haushalt eine religiöse Atmosphäre auf. In diesem Sinne war also auch J. Krishnamurti Teil meiner Herkunft. Sein Bild hing an jeder Wand; ich konnte ihn nicht übersehen. Ich bin nicht deshalb zu ihm hingegangen, weil ich etwas gesucht hätte. Er war lediglich Teil meines Lebenshintergrundes; es wäre eher bemerkenswert gewesen, wenn ich ihn nicht besucht hätte. Mein Problem war es, mich von diesen ganzen Verhältnissen, die mich erstickten, zu befreien. Das ist alles.

Wo sind Sie aufgewachsen?

Hauptsächlich in Madras, in der Theosophischen Gesellschaft. Ich besuchte die Universität von Madras. In den entscheidenden Jahren lebte ich mit und unter den Theosophen.

Haben diese von Anfang an abstoßend auf Sie gewirkt?

Eigentlich von Anfang an. Aber ich wollte mich immer alleine durchs Leben schlagen. Ich wollte mich so sehr von meiner Vergangenheit befreien. Ich habe wirklich alles versucht. Nachdem J. Krishnamurti die ganze Sache im Stich gelassen hatte, habe ich dann auch irgendwann mit ihnen gebrochen.

Haben Sie Erinnerungen an Annie Besant?

Oh, ja! Sie war eine bemerkenswerte Frau. Ich traf sie, als ich vierzehn war. Ich erinnere mich an ihre Redekunst. Mein Großvater stand Annie Besant sehr nahe. Sie war eine Institution. Meiner Ansicht nach hat Indien jeden Grund, ihr dankbar zu sein, und das in vielerlei Hinsicht. Aber die moderne Generation weiß gar nichts mehr über sie. Auch über Gandhi wissen sie nicht viel. Es ist schwer zu sagen, wieviel von ihm heute noch im Gedächtnisses des Volkes verblieben ist. Dieser neue Film über ihn wird wahrscheinlich wieder etwas Interesse an seinem Leben wecken.

Was halten Sie von Gandhis Überzeugungen?

Wollen Sie meine Meinung? Ich werde sie Ihnen freimütig geben. Aus irgendeinem Grund mochte ich ihn nie. Vielleicht lag das an meiner theosophischen Herkunft. Er war vor allem eine Kreuzung zwischen einem Heiligen und einem Politiker. Ich meine, daß er der einzige Mensch unter allen damals war, der wirklich versucht hat, sein Leben nach dem auszurichten, wozu er sich bekannte. Er mag gescheitert sein - er ist gescheitert, nach meiner Meinung - aber die Tatsache, daß er versucht hat, dem Vorbild gemäß zu leben, das er sich gestellt hatte, machte ihn zu einem interessanten Mann. Viele andere neben ihm haben mit dazu beigetragen, daß Indien die Freiheit erhielt. Aber er hat dem Land nichts hinterlassen. Es ist sentimental, jedes Jahr an seinem Geburtstag Vorträge über ihn zu halten. Er und seine Anhänger redeten unaufhörlich, aber, wie es der neue Film zeigt, wendete er von Anfang bis zum Ende Gewalt an.

Aber das läßt sich auch von Christus, Buddha und Mohammed sagen. Es sind diejenigen, die nach einem großen Lehrer kommen, die seine Lehren falsch anwenden...

Sie können die Gründer und Anführer der Religionen nicht freisprechen. Die Lehren all dieser Lehrer und Retter der Menschheit haben nur in Gewalt resultiert. Alle sprachen sie von Frieden und Liebe, während ihre Anhänger Gewalt übten.

Etwas ist seltsam an dieser ganzen Sache. Es war diese Kluft zwischen Worten und Taten, die mir schon frühzeitig signalisierte, daß da etwas nicht stimmen konnte. Ich spürte, daß die Lehren falsch waren, nur war ich mir dessen nicht sicher. Es war mir nicht möglich, sie einfach abzutun und sie ganz aus meinem Bewußtsein zu verbannen. Ich war nicht bereit, einen von ihnen aus sentimentalen Gründen zu akzeptieren. Selbst dann, als meine Bemühungen sie loszuwerden, darin resultierten, daß ich Episoden von Christus- oder Buddhabewußtsein erreichte, war ich immer noch unzufrieden. Ich wußte, daß da irgendwo etwas falsch sein mußte. Das war mein eigentliches Problem.

Sie lehnen die Dinge sowohl aus sentimentalen als auch aus rationalen Gründen ab. Was bleibt denn noch?

Es ist wie mit dem Mann, der auf dem Tiger reitet und abgeworfen wird. Der Tiger, der seine eigene Bewegung beibehält, läuft weiter - und ist verschwunden. Mehr ist daran nicht. Sie können mit dem Tiger nichts mehr anfangen. Also haben Sie niemals mehr Angst davor, einen Tiger zu treffen und auf ihm zu reiten. Es ist vorbei. Er ist weg.

Also meine ich, daß es wenig Sinn macht, wenn ich etwas für Gesellschaft tue – auch sie hat ihre eigene Bewegung. Alles, was man zu tun versucht, wird einen ganz in Anspruch nehmen und diese Dynamik verstärken. Wer hat denn all diesen Leuten den Auftrag erteilt, die Menschheit zu retten? Mitgefühl und Liebe sind nur zwei ihrer Tricks.

Haben Sie je diesen merkwürdigen alten Theosophen Leadbeater während Ihrer theosophischen Tage getroffen?

Ja, ich bin ihm begegnet. Auch er war ein Teil meiner Herkunft. Er hat keinen großen Eindruck auf mich gemacht. Ich bin mir dessen bewußt, daß es Gerüchte gab, er sei ein Homosexueller. Mir ist das gleichgültig. Sex ist ein Teil des Lebens. Homosexualität, Lesbiertum, Heterosexualität, es ist alles das gleiche. Ich halte keinerlei moralische Position inne. Die Gesellschaft, die all diese Soziopathen geschaffen hat, hat auch die Moral erfunden, um sich vor ihnen zu schützen. Lassen Sie mich da außen vor. Die Gesellschaft hat die Heiligen und die Sünder geschaffen. Mir gelten sie nicht als solche.

Für mich gibt es zwar Irrtümer, Fehler und Mängel, aber keine Sünde. Ich persönliche sehe keine Gründe dafür, warum wir uns mit der Bibel, dem Koran, der Gita oder dem Dhammapada [1] abgeben sollten. Wir haben eine politische Körperschaft mit zivilem Recht und mit Strafrecht. Das sollte ausreichend sein, um das Problem in den Griff zu bekommen.



[1] [1] Dhammapda: Ein buddhistischer Klassiker, offiziell ein Teil des Suttapitaka, einer der drei ‘Körbe’, die die Lehren des Buddha  enthalten und die ungefähr im dritten Jahrhundert v.Chr. zusammengestellt wurden.

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