Teil III 

 

Es war nett, Sie kennenzulernen, und nun leben Sie wohl.  

 

F: Kann ich Sie etwas fragen? 

U.G.: Ja, bitte. 

F: Wir möchten ständig diesen Wandel in unserem Innern herbeiführen; wir wollen zwar nicht unbedingt die Welt verändern, möchten aber doch unser inneres Selbst finden, wenn wir meditieren oder Yoga praktizieren – warum wollen wir diesen Wandel eigentlich?  

U.G.: Warum machen Sie all diese Dinge? 

F: Nun, ich probiere sie aus, um zu sehen... 

U.G.: Was? Wollen Sie etwas verändern? 

F: Das ist es ja gerade, ja. Warum wollen wir uns ändern? Was in uns verlangt ständig nach Veränderung? Warum können wir nicht zufrieden sein? 

U.G.: Sie sind mit sich selbst unzufrieden, nicht wahr? 

F: Nicht bewußt... es ist schon merkwürdig. Ich fühle mich sehr gut, es gibt eigentlich relativ wenig, worüber ich mich beklagen könnte, und doch...

U.G.: Und doch tun Sie es. Sehen Sie das Paradox? Sie sind nicht so mit sich selbst zufrieden, wie Sie behaupten. 

F: Das stimmt. 

U.G.: Da gibt es etwas, das beschließt, daß es so nicht stimmen kann. Deshalb wollen Sie eine Veränderung herbeiführen. Wer ist nun für dieses Verlangen nach Veränderung verantwortlich? Ich sage: die Kultur, die Gesellschaft, erhebt einen Anspruch an Sie, der vorgibt, wie Sie zu sein hätten, wie Sie sein sollten. Verstehen Sie? Sie haben das als Vorbild für sich selbst akzeptiert. 

F: Ich habe nicht das Gefühl, daß ich irgendeinem Vorbild nachstrebe. Ich möchte gerne herausfinden, ob in unserem Innern nicht noch mehr ist. 

U.G.: Nein. Das Verlangen nach mehr.... 

F: Nach dem, was im Innern ist... 

U.G.: Es gibt kein Innen und Außen. Es gibt nur ein Gefühl, ein Verlangen nach etwas Interessanterem, mit dem man sich beschäftigen könnte, etwas, das sinn- und zweckvoller wäre als Ihre heutige Existenz. Darauf, sehen Sie, ist das Verlangen gerichtet. Daher rührt auch diese Unruhe. Sie werden deshalb unruhig, weil Sie in sich diesen Drang verspüren, der durch die Gesellschaft oder die Kultur in Sie hineingelegt wurde und der Sie glauben macht, daß Ihr Leben interessanter, bedeutender und sinnvoller sein könnte, als es das heute ist. 

F: Und dieser natürliche Zustand des Seins, den gibt es nicht? 

U.G.: Nein. 

F: Das sind nur von der Gesellschaft zusammengestellte leere Worte? 

U.G.: Genauso ist es, Ihre Natürlichkeit wird von diesen Forderungen der Kultur zerstört. Also erscheint Ihnen Ihr Leben sinnlos, wenn es nichts weiter zu tun gibt. Sie haben alles Erdenkliche versucht, um diese Langeweile mit etwas auszufüllen... jetzt haben Sie all die neuen Spielereien – Yoga, Meditation und die ganze Psychologie. 

F: Bücher lesen. 

U.G.: Bücher lesen, insbesondere das Lesen religiöser Bücher, ist ein Weiteres, das Sie der schon vorhandenen Liste hinzugefügt haben; aber auch damit gelingt es Ihnen nicht, sich von der Langeweile zu befreien. Ihr Leben langweilt Sie, Ihre ganze Existenz, denn alles in ihr wiederholt sich ständig. Für Ihre physischen Bedürfnisse ist bereits sehr gut gesorgt, zumindest hier in diesem Teil der Welt. Also müssen Sie keine zusätzliche Energie aufwenden, um zu überleben. Für diesen Teil wird bereits Sorge getragen.  

Wenn für das Überleben gesorgt ist, erhebt sich naturgemäß die einfache Frage: „Ist das denn alles, was es gibt?“ Jeden Morgen ins Büro zu gehen, oder das Hausfrauendasein mit all den dazugehörigen Pflichten, oder zu schlafen, die sexuellen Kontakte – ist das schon alles? Und genau dieses Verlangen nach mehr ist es, was von diesen ‘Heiligen’ ausgebeutet wird. Das soll schon alles sein? Und dann kommen die Tricks, mit denen Sie Ihre Langeweile vertreiben wollen. 

Das ist wie ein Faß ohne Boden. Es ist nicht nur ein Faß ohne Boden, es ist ein Loch ohne Ende. Sie können es immerzu mit allem zu füllen suchen, was Sie sich vorstellen können oder was anderen dazu einfällt, und doch wird die Langeweile eine Realität bleiben, sie ist ein Faktum. Sicherlich. Sonst würden Sie nichts tun. Sie sind einfach gelangweilt, gelangweilt davon, immer und immer wieder das gleiche zu tun. Darin vermögen Sie keinen Sinn zu erkennen. 

F: Man ist sich dieser Langeweile nicht ganz bewußt.... 

U.G.: Sie sind sich dieser Langeweile nicht ganz bewußt, weil Sie danach trachten, von etwas frei zu werden, was gar nicht vorhanden ist. Das ist es doch, worauf ich die ganze Zeit über mit Nachdruck hinweise. Die Langeweile ist nicht wirklich das Problem. Sie sind sich des Vorhandenseins von Langeweile nicht bewußt, weder auf der bewußten Ebene Ihres Denkens noch auf der bewußten Ebene Ihrer Existenz. Die Attraktivität dieser Dinge, die Sie dazu benützen, um sich von der nichtexistenten Langeweile zu befreien, hat in Wirklichkeit die Langeweile geschaffen. Und diese Langeweile kann von den Dingen, die sie erschaffen hat, nicht vertrieben werden. Und so geht das immer weiter – mit immer neueren Techniken und Methoden. Jedes Jahr bekommen wir einen neuen Guru aus Indien mit ein paar neuen Tricks, einer neuen Technik, oder wir erfinden eine neuen Therapie. Alles mögliche... 

F: Wenn wir von Bewußtsein sprechen... 

U.G.: Ja, ja. Sie wissen anscheinend etwas über das Bewußtsein. Würden Sie mir bitte sagen, was genau Sie unter Bewußtsein verstehen? 

F Ich weiß es nicht. Das wollte ich Sie fragen. 

U.G.: Warum stellen Sie mir diese Frage über Bewußtsein? Ich will Ihnen nicht mit einer Gegenfrage kommen. Aber Sie greifen das Wort ‘Bewußtsein’ irgendwo auf. Sie haben es irgendwo aufgelesen, und schon wird darüber gesprochen, wie man das Bewußtsein erweitern kann. 

F: ...dergestalt, daß man sich selbst besser kennenlernen und zur Natürlichkeit finden könnte. 

U.G.: Ihre Natürlichkeit ist etwas, was Sie nicht kennenlernen müssen. Sie brauchen sie nur auf ihre eigene Weise wirken lassen. Ihr Wissenwollen verlangt nach einem Know-how, das Sie von einem anderen bekommen wollen. Das Funktionieren des Herzens ist etwas Natürliches; das Funktionieren aller Organe Ihres Körpers ist etwas vollkommen Natürliches. Die stellen sich auch nicht für einen Augenblick lang die Frage: „Wie funktioniere ich?“ Der ganze lebendige Organismus verfügt über eine riesige Intelligenz, die ihn auf ganz natürliche Weise erhält. Davon haben Sie das, was Sie Leben nennen, abgetrennt. Was Sie Leben nennen, ist eine Lebensweise, die in keiner Beziehung zum Funktionieren dieses lebendigen Organismus steht. 

Damit erhebt sich natürlich für Sie die Frage: „Wie soll man leben?“ Sehen Sie, es ist dieses „Wie soll man leben?“, das tatsächlich die natürliche Weise, in der das Ganze abläuft, zerstört hat. Hier schaltet sich die Kultur ein und sagt: „Du sollst auf diese Art und Weise handeln und leben! Nur so wird es dir und der Gesellschaft zum Guten gereichen“. Sie wollen das verändern. Was ist es denn eigentlich, was Sie verändern möchten? 

F: Ich wünschte, ich wüßte das. 

U.G.: Sie werden es niemals wissen. Was also versuchen Sie zu erreichen? Sehen Sie denn nicht die Absurdität dessen, was Sie tun? Diese ganze Suche ist wie eine Jagd nach etwas, das überhaupt nicht existiert. 

Das ist mein liebstes Beispiel: Wir alle nehmen es als gegeben hin, daß es so etwas wie einen Horizont gäbe. Wenn Sie ihn also betrachten und sagen: „Dort ist der Horizont“, dann klingt das ganz einfach. Dabei vergessen Sie aber, daß die körperliche Beschränktheit, die Beschränkung Ihres physischen Auges, dort einen Punkt fixiert und ihn „Horizont“ nennt. Wenn Sie sich auf den Horizont zubewegen, und je schneller Sie es tun, z.B. in einem Überschallflugzeug, desto weiter bewegt es sich weg – weiter und immer weiter. Was Ihnen bleibt, ist die Beschränkung. 

Ein anderes Beispiel ist, über seinen Schatten springen zu wollen. Als Kinder haben wir dieses Spiel gespielt – alle anderen Kinder rennen mit, und jeder versucht, über seinen eigenen Schatten zu springen. Damals kamen wir nicht auf den Gedanken, daß es dieser Körper ist, der dort den Schatten wirft, und es somit ein absurdes Spiel ist, seinen eigenen Schatten überholen zu wollen. So kann man immer weiter rennen... 

Sie kennen die Geschichte von Alice im Wunderland. Die rote Königin muß immer schneller rennen, um an der Stelle stehenzubleiben, an der sie sich befindet. Sehen Sie, genau das tun Sie alle auch. Sie rennen immer schneller. Aber Sie kommen nicht vom Fleck. 

Sie tun alles, um herauszufinden, wo genau Sie sich befinden, aber das bedeutet nicht, daß Sie sich bewegen würden. Es gibt Ihnen das Gefühl, an etwas zu arbeiten, etwas zu tun, um Ihrem Ziel näherzukommen, und dabei wissen Sie nicht, daß dies mit dem natürlichen Funktionieren Ihres Körpers in keinerlei Zusammenhang steht. Sie verhalten sich nicht natürlich, weil das Ihnen von der Kultur vorgegebene Ideal Ihre natürlichen Handlungen verfälscht. Sie fürchten sich davor, auf natürliche Weise zu handeln, weil Ihnen Ihre Handlungsweisen vorgeschrieben wurden. 

Auch die Übungen zur körperlichen Vervollkommnung gehören zu diesen Methoden. Ich will nichts gegen Yoga sagen, verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Ich habe auch nichts gegen Meditation einzuwenden – betreiben Sie Yoga, meditieren Sie – das sind alles Linderungsmittel. Wenn Sie wollen, daß Ihr Körper elastisch bleiben soll, dann wenden Sie sie an. Allerdings möchte ich darauf hinweisen, daß die Meditation Spannungen erzeugt. Sie schaffen sich erst ein Problem, und dann versuchen Sie es zu lösen. Aber es ist schon in Ordnung, denn Gott sei Dank betreiben Sie sie ja nicht allzu ernsthaft. 

Darin liegt auch Ihre einzige Hoffnung. Denn wenn Sie in aller Ernsthaftigkeit meditieren, stecken Sie wirklich in Schwierigkeiten. Sie werden verrückt werden. Oder, wenn Sie versuchen sollten, sich immerzu in Achtsamkeit zu üben – auf der bewußten ebenso wie auf der unbewußten Ebene – dann werden Sie wirklich Probleme bekommen. Sie werden fröhlich lallend und singend in der Klapsmühle enden. Sie können die neuen Lieder aus Indien lernen, die Hare Krishna-Lieder, und sie in Freuden singen. Das ist ganz Ordnung. Aber üben Sie sich nicht in Achtsamkeit, denn das ist so etwas ähnliches wie zu gehen versuchen und dabei jeden Schritt zu beobachten, den Sie tun. Das wird Sie in Schwierigkeiten bringen; Sie werden gar nicht mehr gehen können. Also machen Sie das nicht! Denn Gehen ist etwas Mechanisches, all diese Dinge laufen ganz glatt und störungsfrei ab. Sie müssen gar nichts dazu tun. Je mehr Sie tun wollen, desto größeren Widerstand erzeugen Sie. 

Die Langeweile ist wirklich Ihr Hauptproblem. Diese nichtexistente Langeweile wurde von dem Verlangen hervorgerufen, sich selbst von der Langeweile zu befreien. Da dieses Verlangen Ihnen in keiner Weise dabei hilft, von der Langeweile frei zu werden, sondern es im Gegenteil noch schwieriger werden läßt, müssen Sie sich weiterhin nach immer neuen Dingen umsehen. Sie müssen nach all den Spielereien suchen, die Sie von der nichtexistenten Langeweile befreien könnten. Und das wird Sie bis in alle Ewigkeit beschäftigt halten. 

Von mir werden Sie keine neuen Spielchen bekommen, und ich werde Ihnen auch keine Vorschläge machen. Ich möchte nur, daß Sie erkennen, was Sie sich selbst antun. Ich versuche nicht, Sie von etwas zu befreien und auf neue Wege zu führen, weil ich ein neues Produkt zu verkaufen hätte. Dem ist ganz und gar nicht so. Ich habe kein neues Produkt zu verkaufen; ich bin überhaupt nicht daran interessiert, irgendwas zu verkaufen. Wir befinden uns alle zufällig gerade hier, aus den verschiedensten Gründen – ich weiß nicht, warum wir hier sind – und so sollten wir eigentlich damit aufhören, Ideen auszutauschen. Das ist sinnlos. Hier gibt es nichts zu diskutieren. Diese Diskussion hat keinen Sinn, weil Sinn und Zweck einer Diskussion oder einer Unterhaltung darin besteht, etwas zu verstehen. Also ist eine Diskussion nicht das richtige Mittel, um etwas verstehen zu können. Im Endeffekt heißt das, und ich betone das immer wieder: „Sehen Sie her, hier gibt es nichts zu verstehen“. Wenn einmal verstanden wurde, daß es nichts zu verstehen gibt, dann werden all diese Unterhaltungen sinnlos. Also werden Sie aufstehen und ein für alle mal weggehen. Und so sage ich: „Es war nett, Sie kennenzulernen, nun leben Sie wohl“. Das ist alles, was ich immerzu sage: „Es war nett, Sie kennenzulernen, und Tschüss“. 

F: Wir verstehen es einfach nicht. 

U.G.: Nein. Ich sage es immer wieder: „Es war nett, Sie kennenzulernen, nun leben Sie wohl. Adieu, Gott befohlen und Gott mit Ihnen“. Bleiben Sie bei Ihrem Gott und Ihren Gurus. Beunruhigen Sie sich nicht unnötigerweise. Leben Sie in Hoffnung, und sterben Sie in Hoffnung. Und hoffen Sie darauf, wiedergeboren zu werden, wenn Sie die Reinkarnationstheorien akzeptieren. Eine Geburt ist schon schlimm genug. Warum wollen wir denn wiedergeboren werden? Wir könnten dieses Problem genauso gut jetzt in die Hand nehmen und anfangen zu leben – das bißchen, das uns noch bleibt. Kümmern Sie sich nicht um die Welt und den Weltfrieden. 

Wenn Sie die Frage danach, wie man glücklich wird, einmal fallenlassen, dann beginnen Sie zu leben und brauchen sich um das Glück nicht mehr zu kümmern. Es existiert nicht, das Glück gibt es nicht. Je mehr Sie es wollen, je mehr Sie danach suchen, desto unglücklicher werden Sie. Die Suche und das Unglücklichsein gehören zusammen.  

F: Glauben Sie nicht, daß sich das gegen alles richtet, was Religion, Gesellschaft und Kultur beinhalten? 

U.G.: Die Kultur, alle Denksysteme... 

F: Strukturen, Systeme, alle Systeme... 

U.G.: Alle Denkstrukturen, philosophische, religiöse, materialistische Strukturen... 

F: Meinen Sie nicht auch, daß das negativ ist? Nicht nur, weil ich das sage, aber alle Menschen würden sagen.... 

U.G.: Warum sagen Sie, es sei negativ? Hören Sie... 

F: Weil die Leute das sagen. 

U.G.: Die Menschen reden so, weil sich das für sie als einfacher Ausweg darstellt. Vergessen Sie eines nicht. All die positiven Vorgehensweisen, die der Mensch seit Jahrhunderten erfunden und angewendet hat, haben ihm keinerlei Nutzen gebracht. Sie haben nicht die Ergebnisse gezeitigt, die ihm versprochen worden sind. Und dennoch machen Sie immer weiter und weiter und hoffen, daß Sie, wie durch ein Wunder, Ihre positiven Ziele doch noch erreichen können (bzw. diejenigen Zielvorstellungen, die uns mittels der positivistischen Einstellung vorgegeben worden sind). Sie tun das nur, weil Sie sich Hoffnungen machen; und es ist die Hoffnung, die Sie weitermachen läßt. 

Lassen Sie sich nicht in diese Denkstruktur einbinden, die immerzu Positives und Negatives suggerieren will. Ihre Ziele sind immer positiv. Aber weil Sie mit Ihren Zielen gescheitert sind und diese nicht zu den erwünschten Resultaten geführt haben, betrachten Sie die Dinge nun auf eine andere, negative Weise. Sowohl die positive als auch die negative Betrachtungsweise funktionieren nur auf dem Gebiet des Denkens. 

Sehen Sie, ich weise Sie darauf hin, daß Ihnen Ihre positive Vorgehensweise bislang nicht die erhofften Resultate geliefert hat. Und ich sage Ihnen auch, warum sie das nicht getan hat. Ich sage Ihnen, warum Sie steckengeblieben sind und nicht weiterkommen. Aber sofort drehen Sie sich um und sagen: „Ihre Betrachtungsweise ist negativ.“ Das ist sie keineswegs. Ich weise nur auf die Kehrseite der Medaille hin, die Gegendarstellung, um Ihr Argument zu neutralisieren. Ich tue das nicht, um Sie von meinem Standpunkt zu überzeugen oder die negative Seite des Problems hervorzuheben. Ihr Ziel ist und bleibt ein positives Ziel, gleichgültig welcher Betrachtungsweise Sie sich auch anschließen. Auch wenn Sie sie als negativ bezeichnen, so bleibt sie doch positiv. 

Sie müssen sich über das Ziel vollkommen im klaren sein. Ich möchte nachdrücklich betonen, daß das Ziel verschwinden muß. 

F: Man gibt das Ziel auf? 

U.G.: Es hat keine Bedeutung; das Ziel bedeutet nichts. Das Ziel, das Sie sich gesetzt haben, hat überhaupt keinen Sinn, denn es hat in nichts anderem als Kampf, Schmerzen und Kummer resultiert. Sie setzen Ihre Willenskraft ein, und die hat, wie ich bereits sagte, ihre Grenzen. Sie läßt sich nur in beschränktem Maße anwenden. Der Einsatz Ihres Willens und die Anstrengung verschaffen Ihnen eine Art zusätzlicher Energie, um diese Probleme in Angriff zu nehmen, aber die ist in ihrem Umfang sehr begrenzt. Die Energie, die Sie erzeugen, ist lediglich eine Reibungsenergie. Der Einsatz des Willens erzeugt Reibung, und diese Friktion erzeugt ein Art Energie. Nur hält sie nicht lange vor, und damit sind Sie wieder dort, wo Sie angefangen haben.  

F: Ich glaube, man muß auch sehen, daß die ganze westlich-christliche Zivilisation auf Zielvorstellungen beruht. 

U.G.: Warum nur die westliche? Alle Kulturen und Zivilisationen stellen ein Ziel vor Ihnen auf, sei es nun materiell oder spirituell. Es gibt Mittel und Wege, wie Sie Ihre materiellen Ziele erreichen können, aber auch in dieser Hinsicht entsteht viel Schmerz und Leid. Und über alledem haben Sie nun etwas errichtet, was Sie als Ihr spirituelles Ziel bezeichnen. 

So baut zum Beispiel das Christentum auf der Grundlage des Leidens als einem Mittel, sein Ziel zu erreichen. Was Ihnen bleibt, ist nur das Leiden, und darüber machen Sie viel Aufhebens; dabei kommen Sie aber nicht einmal in die Nähe Ihres Ziels, woraus immer das auch bestehen  mag.  

Dahingegen ist ein Ziel in der materiellen Welt immer etwas Faßbares. Die Mittel, welche Sie zum Erreichen Ihrer materiellen Ziele einsetzen, bringen bestimmte Ergebnisse hervor. Indem Sie dieses Mittel vermehrt anwenden, können Sie ein angestrebtes Ergebnis erzielen. Aber dafür gibt es keine Garantie. Ihre Mittel sind in ihrem Umfang beschränkt. Ihr Anwendungsbereich liegt ausschließlich im materiellen Bereich. 

Und nun wollen Sie die gleichen Mittel einsetzen, um auch Ihre sogenannten spirituellen Ziele zu erreichen. Sie erkennen nicht, daß all die spirituellen Ziele, mit denen Ihre sogenannten materiellen Ziele überlagert wurden, Ihrer Phantasie entstammen, weil Sie das Leben in eine materielles und ein spirituelles aufgeteilt haben. Es kommt nicht darauf an, welche Mittel Sie gebrauchen, um Ihr Ziel zu erreichen, und ob diese nun materiell oder spirituell genannt werden – das ist genau dasselbe. 

F: Aber ist es nicht so, daß wir als menschliche Wesen einfach aktiv sein müssen? Selbst die Pflanzen sind aktive, lebendige Wesen. Wir sind nicht passiv. Wir müssen doch irgendein Ziel haben. Sagen Sie, daß es schlecht wäre, wenn man... 

U.G.: Ich möchte, daß Sie sich über das Ziel im klaren sind. Was wollen Sie? Nicht das Wollen ist falsch. Aber die einzige Möglichkeit, wie Sie sowohl Ihre materiellen als auch Ihre spirituellen Ziele durchsetzen können, liegt darin, dasselbe Instrumentarium anzuwenden, das Sie zur Durchsetzung Ihrer materiellen Ziele gebrauchen. Ich behaupte, daß das einzige Mittel, das Ihnen zur Verfügung steht, das Denken ist. 

Ich möchte ein Millionär sein. Ein Millionär will ein Billionär werden, und ein Billionär ein Trillionär. Das also ist das Ziel. Ein glücklicher Mensch möchte nie und nimmer glücklich werden. Sie aber wollen immer glücklicher werden. Oder Sie wollen andauernd glücklich sein. Sie sind einmal glücklich und ein andermal unglücklich. Sie wollen Vergnügungen haben und möchten, daß sie andauern sollten. Gleichzeitig wissen Sie aber, daß Ihr Genußstreben, auch wenn es nur temporär ist, Ihnen auch Leid zufügen wird. Die Ziele eines jeden Menschen auf dieser Welt, sei es hier im Westen oder im Osten oder in einem kommunistischen Land, sind überall identisch. Was der Mensch haben will, ist Genuß ohne Reue und Glück ohne einen Augenblick des Unglücklichseins. Wonach er tatsächlich strebt und worum er kämpft, ist, das Unmögliche wahr zu machen und das eine (Glück) zu erringen, ohne das andere (Unglücklichsein) zu erleiden. 

F: Das stimmt aber nicht für alte Menschen. 

U.G.: Für jedermann. 

F: Aber ältere Menschen wissen doch, daß es keinen Genuß ohne Reue gibt. Es gibt kein Glück ohne Unglück, denn man könnte nicht von Glück reden, wenn man nicht wüßte, was Unglück ist. Ältere Menschen wissen, daß jeder seinen Teil an Kummer und Leid zu tragen hat. Diese Leute glauben nicht, daß es ein Vergnügen gäbe, ohne daß man dafür zahlen müßte. Sie wissen, daß sie leiden werden. 

U.G.: Und doch versuchen Sie, ein Leben ohne Leiden zu verwirklichen. Ob sie das nun bewußt tun oder nicht, das ist es, was ein jeder anstrebt. Sie meinen zu wissen, was Ihnen Glück bringen wird. 

F: Das Paradies. 

U.G.: Wenn Sie all die Ziele erreichen, die Sie sich gesetzt haben, – Erfolg, Geld, einen Namen und Berühmtheit, Position oder Macht – dann sind Sie glücklich. Während Sie dabei sind, das zu erringen, kämpfen Sie hart. Sie investieren enorm viel Willenskraft und große Mühen. Solange Sie damit Erfolg haben, gibt es keine Probleme, aber – wie Sie genau wissen – können Sie nicht immer Erfolg haben. 

Und doch hegen Sie die Hoffnung, daß es Ihnen möglich sein wird, immer erfolgreich zu sein. Sie sind frustriert, wenn Sie herausfinden, daß das nicht sein kann. Aber Sie hoffen weiter. Sie nehmen für sich in Anspruch, alle Ihre Ziele, seien sie nun materiell oder spirituell, erfolgreich erreichen und abschließen zu können. 

Sie müssen mir helfen. Ich bin nicht hier, um eine Rede zu halten. Wenn die Menschen zu mir kommen, um mich zu besuchen, stelle ich ihnen wiederholt die ganz einfache Frage: Wissen Sie ganz genau, was Sie wollen? „Ich will das“, oder, „Ich will das nicht“. Wenn Sie einmal ganz genau wissen, was Sie wirklich wollen, werden Sie auch Mittel und Wege finden, sich Ihre Wünsche zu erfüllen. Unglücklicherweise wollen die Menschen zu viele Dinge auf einmal.  

Sie kristallisieren also aus all Ihren Wünschen den einen fundamentalen Wunsch heraus, denn alle Wünsche sind nur Variationen dieses einen Wunsches. Sie lehnen meinen Hinweis ab, daß der Mensch immer glücklich sein will, ohne auch nur gelegentliche Augenblicke des Unglücklichseins erleben zu wollen, oder daß er einen permanenten Genuß ohne Reue erstrebt, was, wie ich schon andeutete, in physischer Hinsicht eine Unmöglichkeit ist. 

Der Körper kann keine Empfindungen, seien Sie nun angenehm oder schmerzhaft, über einen längeren Zeitraum hinweg aushalten. Wenn er das tun muß, wird es die Empfindungsfähigkeit der Sinneswahrnehmungen und des Nervensystems zerstören. In dem Augenblick, in dem Sie eine Empfindung als angenehm wahrnehmen, entsteht naturgemäß sofort ein Verlangen danach, sie andauern zu lassen. Jede Empfindung besitzt ein begrenztes Eigenleben. Dieses ist abhängig von der Intensität der Empfindung, welche von Ihnen dadurch gestört wird, daß Sie sie mit mehr oder weniger Gefühlstiefe auszustatten versuchen (je nachdem, worauf Sie gerade aus sind). 

Dieses Verlangen entsteht nur dann, wenn Sie sich selbst von der angenehmen Empfindung abtrennen und darüber nachdenken, wie Sie deren Grenzen oder die Momente des Glücks ausdehnen könnten. Ihr Denken hat aus diesem besonderen Verlangen danach, eine angenehme Empfindung länger andauern zu lassen als sie das eigentlich sollte, ein Problem gemacht. Es hat ein Problem für das natürliche Funktionieren Ihres Körpers geschaffen, und dadurch ist auch ein neurologisches Problem entstanden. Der Körper unternimmt alle möglichen Anstrengungen, das zu absorbieren, wobei Ihr Denken es dem Körper unmöglich macht, dieses Problem auf die ihm eigene Weise zu bewältigen – aus dem einfachen Grund, weil Sie versuchen, die Probleme auf Grund Ihrer religiösen und psychologischen Betrachtungsweisen zu lösen. 

Diese Probleme sind eigentlich neurologischer Art, und wenn es dem Körper überlassen bleibt, mit ihnen auf seine Weise umzugehen, wird ihm das besser gelingen als Ihnen, der Sie versuchen, sie auf einer psychologischen oder religiösen Ebene zu lösen. Alle Lösungsmöglichkeiten, die uns angeboten wurden, und all die Lösungen, die wir seit Jahrhunderten immer wieder adaptieren, haben überhaupt nichts gebracht, außer etwas Trost zu spenden; sie sind ein Linderungsmittel, das Ihnen hilft, den Schmerz zu ertragen. Und doch sind wir keineswegs frei von diesem Schmerz, denn wir hegen die Hoffnung, daß das Instrument, das all diese Dinge zu einem Problem macht, sie auch wieder lösen kann. Alles, was dieser Denkmechanismus tun kann, ist ein Problem zu schaffen. Aber nie, niemals kann er ein Problem lösen. 

Wenn das Denken nicht das richtige Werkzeug ist, um die Probleme zu lösen – gibt es dann ein anderes? Ich behaupte, nein! Es kann nur Probleme erzeugen. Es kann die Probleme nicht lösen. Wenn Sie allmählich zu dieser Einsicht gelangen, dann werden Sie feststellen, daß die Energie des Körpers, welche die Manifestation, der Ausdruck des Lebens ist, mit allem ungleich leichter fertig wird als das gespaltene Denken, das Sie dadurch erzeugen, indem Sie sich vorstellen, wie mit diesen Problemen umzugehen sei.  

F: Wenn man also glaubt, man habe ein Problem, dann läßt man es am besten in Ruhe? 

U.G.: Sehen Sie, wenn Sie es so formulieren, dann fragen Sie damit gleichzeitig auch, wie man es denn in Ruhe lassen kann. Sie wissen, daß Sie das nicht können. Sie behaupten nur, Sie würden es in Ruhe lassen. Natürlich wird dann als nächstes die Frage auftauchen, wie man es vor dieser ständigen Einmischung des Denkens schützen kann. Es gibt kein ‘Wie’. Wenn Ihnen irgend jemand vorschlägt, wie es zu machen sei, dann sind Sie wieder in den gleichen Teufelskreis geraten.  

Das ist auch der Grund dafür, warum all die Therapien, die uns heute angeboten werden, und all die Gurus, die sich auf dem Markt befinden und die unzählige Techniken vorschlagen, eigentlich eine enorme Belastung für uns sind; sie machen es uns nicht leichter, sondern bürden uns in der gegenwärtigen Situation sogar noch weitere Lasten auf. 

All diese Systeme und Techniken können Ihnen nur dadurch helfen, daß sie für eine Weile als Linderungsmittel dienen, damit Sie den Schmerz noch ein bißchen länger aushalten können. Auf der anderen Seite beeinträchtigen sie aber die chemische Zusammensetzung des Körpers, anstatt dazu beizutragen, das eigentliche Problem zu lösen. 

F: Sie beeinträchtigen die Körperchemie? 

U.G.: Sie beeinträchtigen die Chemie, und während das geschieht, bringt der Körper alle möglichen Abweichungen und Verirrungen hervor, die von Ihnen als spirituelle Erlebnisse angesehen werden. Also stören Ihre Atem- und Yogaübungen und Ihre Meditationen die Körperchemie und den natürliche Rhythmus der Körpers genauso, wie es all die Drogen tun, die die Menschen einnehmen. Man sagt zwar von den Drogen, daß sie schädlich seien, genau gesehen fügen Ihnen aber die spirituellen Techniken die größeren Schäden zu. 

Ich schlage nicht vor, daß Sie Drogen einnehmen sollten, aber diese erfüllen denselben Zweck wie all die spirituellen oder psychologischen Therapien, die uns jeden Tag angeboten werden. Sie verschaffen Ihnen tatsächlich etwas Erleichterung, wie ein Aspirin – Sie haben Kopfschmerzen und geben dem Körper nicht einmal die Gelegenheit, für eine Weile selbst damit umzugehen. Sie laufen in die nächste Apotheke und betäuben sich. So wird es wiederum für den Körper schwierig, die natürlichen Stoffe selbst herzustellen, die er braucht, um Ihre Schmerzen zu lindern. 

All die Halluzinogene, über die Sie sprechen, sind im Körper bereits als Teil des Systems vorhanden. Er will den Schmerz kontrollieren und ihn lindern. Er kennt nur den physischen Schmerz und interessiert sich überhaupt nicht für Ihre psychologischen Schmerzen. Die Lösungen, die Ihnen angeboten werden, liegen aber alle nur auf psychischem und nicht auf physischem Gebiet.  

Wenn Sie zum Beispiel ein Aspirin einnehmen, wird dadurch die Fähigkeit des Körpers zerstört, mit dem Schmerz auf natürliche Weise fertig zu werden. Mit ‘natürlicher Weise’ meine ich nicht, daß Sie sich der Makrobiotik oder anderen merkwürdigen ‚gesunden‘ Ernährungsweisen zuwenden sollten. Die sind genau so gemeingefährlich wie jede Medizin.  

F: Was also raten Sie, das man tun sollte, wenn man Probleme hat? 

U.G.: Sie können gar nicht anders, als sich Probleme zu schaffen. Das ist das erste, Sie schaffen selbst die Probleme. Aber Sie sehen sich die Probleme nicht richtig an; Sie befassen sich nicht damit. Sie sind mehr an den Lösungen interessiert als an den eigentlichen Problemen. Und dadurch wird es schwierig für Sie, die Probleme wirklich zu sehen. 

Ich weise Sie darauf hin: „Schauen Sie, Sie haben überhaupt keine Probleme!“ Sie behaupten mit der ganzen Ihnen zur Verfügung stehenden Emphase und großer Lebhaftigkeit: „Sehen Sie, hier habe ich ein Problem!“ 

Sie haben also ein Problem. Sie können auf dieses Problem zeigen und sagen: „Hier ist das Problem!“ Physischer Schmerz ist eine Realität. Also gehen Sie zum Arzt, und ob die Medizin nun gut ist für den Körper oder nicht, ob sie giftig ist oder nicht, so erzeugt sie doch die erwünschte Linderung, auch wenn diese nur von kurzer Dauer ist. Aber die Therapien, die Ihnen diese Leute anbieten, intensivieren nur das nichtexistente Problem. Sie suchen nur nach Lösungen. Wenn diese Lösungen, die Ihnen angeboten werden, auch nur das allergeringste taugen würden, dann sollten die Probleme verschwinden. Das Problem besteht immer noch, und doch stellen Sie niemals die Lösungen in Frage, die Ihnen diese Leute anbieten und die Ihnen das Leben leichter machen oder Sie von Ihren Problemen befreien sollen. 

Wenn Sie die Lösungen einmal in Frage stellen, die uns von all diesen Menschen angeboten werden, die ihre ‘Wohltaten’ im Namen der Heiligkeit, Erleuchtung und Besserung zu Markte tragen, dann werden Sie herausfinden, daß es überhaupt keine Lösungen sind. Wären sie das, dann würden sie Resultate erzeugen und Sie von Ihren Problemen befreien. Das tun sie nicht. 

Sie stellen die Lösungen nicht in Frage, weil sich hier Gefühle einschleichen, wie: „Der Mann, der das auf den Markt bringt, kann doch kein Betrüger sein“. Sie halten ihn für einen erleuchteten Menschen oder einen Gott, der auf Erden wandelt. Dieser Gott mag sich selbst zum Narren halten, er mag sich in einem andauerndem Selbstbetrug befinden und Ihnen dann dieses Zeug, diese schäbigen Güter, verkaufen. Sie stellen die Lösungen nicht in Frage, weil Sie damit auch den Mann, der sie Ihnen verkauft, in Frage stellen müßten. Sie glauben, er könne nicht unehrlich sein; ein frommer Mann kann doch nicht unehrlich sein.  

Sie müssen die Lösungen dennoch in Frage stellen, denn sie lösen Ihre Probleme nicht. Warum tun Sie das nicht und überprüfen und testen die Gültigkeit dieser Lösungen? Wenn Sie erkennen, daß sie nicht funktionieren, dann müssen Sie sie wegschmeißen, in den Abguß schütten und zum Fenster hinauswerfen. Aber das tun Sie nicht, weil Sie insgeheim die Hoffnung hegen, daß dies Lösungen Ihnen vielleicht doch irgendwie die Linderung verschaffen werden, derer Sie so sehr bedürfen. Das von Ihnen verwendete Werkzeug (das Denken) ist für dieses Problem verantwortlich. Also wird dieses Werkzeug niemals die Möglichkeit in Betracht ziehen, daß diese Lösungen falsche Lösungen sein könnten. Es sind überhaupt keine Lösungen. 

Die Hoffnung läßt Sie immer weitermachen. Dadurch ist es schwierig für Sie, die Probleme wirklich zu sehen. Wenn die eine Lösung scheitert, dann gehen Sie woanders hin und suchen sich eine neue aus. Wenn Sie mit dieser Lösung scheitern, suchen Sie wieder nach einer anderen. Sie sehen sich überall nach all diesen Lösungen um und fragen sich dabei nicht ein einziges Mal selbst: „Was ist das Problem?“ 

Ich sehe keinerlei Probleme. Ich sehe nur, daß Sie an Lösungen interessiert sind und daß Sie hierher kommen und die gleiche Frage stellen. „Ich möchte noch eine Lösung haben.“ Die bisherigen Lösungen haben Ihnen nicht im geringsten geholfen, warum also wollen Sie eine weitere Lösung haben? Sie werden sie Ihrer langen Liste hinzufügen, aber im Endeffekt ändert sich gar nichts an Ihrer Lage. Wenn Sie eine Lösung gesehen und deren Nutzlosigkeit erkannt haben, dann haben Sie alle gesehen. Sie müssen nicht eine nach der andern ausprobieren.  

Ich möchte also darauf hinweisen, daß Sie, wenn Sie die Lösung gefunden haben, von Ihrem Problem frei sein müßten. Ist es nicht die Lösung, dann können Sie nichts weiter tun; das Problem selbst besteht dann nicht mehr. Daher sind Sie auch nicht wirklich an der Lösung des Problems interessiert, denn das würde ja Ihr eigenes Ende bedeuten. Sie wollen, daß das Problem weiterbesteht. Sie wollen, daß der Hunger bleibt, denn wenn Sie nicht hungrig sind, können Sie ja nicht mehr all diese geistlichen Herrschaften um Nahrung ersuchen. Was Sie Ihnen geben sind Abfälle, ein paar Brocken, und damit lassen Sie sich abspeisen. Selbst wenn man annähme, einer von ihnen könnte Ihnen den ganzen Brotlaib geben, was er nicht kann, so wird er doch nur versprechen, ihn irgendwo versteckt aufzubewahren. Versprechungen – immer wieder ein kleines Häppchen – wird er Ihnen geben. Auf diese Weise befassen Sie sich nicht mit Ihrem eigentlichen Problem, dem Hunger, sondern Sie sind daran interessiert, immer noch einen Brocken mehr von diesem Burschen zu erhalten, der Ihnen eine Lösung verspricht, anstatt sich mit Ihrem Problem des Hungers zu befassen. Sie gehen nicht das Hungerproblem an, sondern befassen sich damit, noch mehr Brosamen zu ergattern. 

F: Es ist, als ginge man ins Kino, um so der Realität zu entfliehen.  

U.G.: Sie befassen sich niemals wirklich mit dem Problem. Nehmen Sie zum Beispiel das Problem des Zorns. Ich möchte nicht auf all diese törichten Dinge eingehen, die diese Leute seit Jahrhunderten diskutieren. Der Zorn. Wo ist dieser Zorn? Können Sie ihn vom Funktionieren des Körpers abtrennen? Es ist wie mit den Wellen des Ozeans. Können Sie die Wellen vom Ozean trennen? Sie können dasitzen und darauf warten, daß die Wellen schwächer werden, damit Sie im Meer schwimmen können (wie der König Canute, der jahrelang dasaß und darauf hoffte, daß die Wellen des Ozeans verschwänden, damit er in ruhiger See ein Bad nehmen könnte). Das wird niemals geschehen. Sie können dasitzen und alles über die Wellen lernen, über Ebbe und Flut (die Wissenschaft hat uns alle möglichen Erklärungen gegeben), aber dieses Wissen wird Ihnen in keiner Weise helfen können.  

Sie befassen sich nicht wirklich mit dem Zorn. Zunächst einmal, wo fühlen Sie ihn? Wo spüren Sie all diese sogenannten Probleme, von denen Sie sich befreien möchten? Und die Sehnsucht? Diese brennende Sehnsucht. Die Sehnsucht verbrennt sie. Der Hunger verzehrt Sie. Die Lösungen und Methoden, die Sie gefunden haben, lassen es nicht zu, daß sich Sehnsucht und Hunger in Ihrem Körpersystem selbst verzehren.  

Wo fühlen Sie die Angst? Sie spüren sie tief in Ihrem Bauch. Sie ist Teil des Körpers. Der Körper verträgt dieses Auf und Ab in seinem Energieniveau nicht, also erfinden Sie spirituelle oder soziale Rechtfertigungen, die die Angst unterdrücken sollen. Das wird Ihnen nicht gelingen.  

Zorn ist Energie, ein gewaltiger Energieausbruch. Wenn Sie irgendwelche Mittel anwenden, um diese Energie zu unterdrücken, dann zerstören Sie damit genau das, was ein Ausdruck des Lebens selbst ist. Er wird nur dann zu einem Problem, wenn Sie versuchen, etwas mit dieser Energie anzustellen. Wenn sie vom System absorbiert wird und sie den Zorn in Ruhe lassen, werden Sie nicht mehr zornig sein und daher auch nichts mehr von den Dingen tun, die Sie normalerweise tun würden: Sie werden sich nicht mehr rächen wollen oder versuchen, solchen Ärger von vornherein zu vermeiden. Tatsächlich haben Sie es nicht mit Zorn zu tun, sondern Sie sind frustriert, weil Sie vergeblich versuchen, gegen den Zorn anzukämpfen. Oder Sie sind durch Ihre eigene Ungeschicklichkeit oder weil Sie sich selbst nicht verstehen in eine Situation geraten, die Sie vermeiden wollten. Sie möchten darauf vorbereitet sein, mit solchen Situationen richtig umgehen zu können, wenn sie in Zukunft erneut auftreten sollten.

 Das Instrument, das Sie gebrauchen, wurde von Ihnen schon bei jedem einzelnen Ihrer Wutausbrüche angewandt. Und doch ist es Ihnen nicht gelungen, sich von dieser Wut zu befreien. Das wird nicht geschehen, daß Sie eines Tages in eine ganz außergewöhnliche Lage geraten und dann ein anderes Werkzeug finden werden als dasjenige, welches Sie schon seit Jahren benutzen, und doch hegen Sie die ganze Zeit über immer noch die Hoffnung, daß es schon das richtige Mittel sein wird, um Sie morgen von der Wut zu befreien. Es ist dieselbe Hoffnung. 

F: Aber wenn jemand sehr wütend ist, dann kann er doch gewalttätig werden. 

U.G.: Diese Gewalt wird von Körper absorbiert.  

F: Und bedrohlich.

 U.G.: Für wen? 

F: Für andere. 

U.G.: Ja, und? 

F: Wenn einer mit dem Messer herumläuft... 

U.G.: Was dann? 

F: Und jemanden umbringt... 

U.G.: Ja. Warum bringen Sie Menschen um, Tausende von Menschen, die keine Schuld trifft? Warum schränken Sie etwas ein, das natürlich ist und warum verurteilen Sie nicht die Nationen, die Bomben auf hilflose Menschen werfen? Bezeichnen Sie das etwa als normales Verhalten? Beides ist auf die gleiche Ursache zurückzuführen: Solange Sie etwas unternehmen, um hier Ihren Ärger unter Kontrolle zu halten, werden Sie solche scheußlichen Taten begehen und sie rechtfertigen, denn nur auf diese Weise können Sie Ihre Lebensart und Ihre Denkweise bewahren. Diese beiden Dinge gehören zusammen. Wie können Sie das nur rechtfertigen? Es ist ein Irrsinn. 

Da ist ein Mensch, der Ihnen nichts tut, er bedroht nur Ihre Lebensart. Es besteht die Gefahr, daß dieser Mensch Ihnen das nehmen könnte, was Sie als Ihre Preziosen ansehen. Die Idee, daß man diesen Mann dann am Handeln hindern müsse, falls er einen Wutanfall bekommt, ist im Grunde aber genau dasselbe. Der religiöse Mensch befindet, daß ein zorniger Mensch ein asozialer Mensch sein müsse.  

Solange er sich in Tugendhaftigkeit übt wird der Mensch asozial sein und sein Handeln wird von seinem Ärger motiviert. Wenn Sie erst einmal mit dem Ziel abgeschlossen haben, das die Gesellschaft Ihnen gesetzt hat, (und das Sie für sich selbst als ideales und erstrebenswertes Ziel übernommen haben), dann werden Sie niemals mehr jemandem etwas zuleide tun, weder individuell, noch kollektiv als eine Nation. 

Sie müssen sich mit Ihrem Zorn befassen. Aber sie befassen sich mit etwas, das dazu in keinerlei Beziehung steht; kein einziges Mal lassen Sie es zu, daß sich der Zorn innerhalb der Struktur, der er entstammt und innerhalb derer er wirksam wird, selbst verzehrt. Eine Therapie, in der man auf seine Kissen oder sonst etwas einschlägt, ist geradezu ein Witz. Dadurch kann ein Mensch nicht dauerhaft von seinem Zorn befreit werden. 

F: Auf ein Kissen einschlägt? 

U.G.: Das machen sie, das gehört zu einer ihrer Therapien. 

F: Und das hilft nicht? 

U.G.: Die Wut wird wieder hochkommen. Was machen Sie also? Sie befassen sich gar nicht mit ihr. Sie werden sich überhaupt nicht mit dieser Wut beschäftigen, solange Sie glauben nach einem Weg suchen zu müssen, um denjenigen Menschen nicht zu verletzen, der Sie mit einem Messer angreift. Dabei ist es aber absolut notwendig, daß Sie sich selbst schützen. Ich will damit keineswegs sagen, daß es der Zorn ist, der Sie daran hindert, mit der Situation fertigzuwerden. Und sagen Sie nicht, daß das eben Gewaltlosigkeit sei und daß man niemandem weh tun dürfe. Er verletzt Sie. Selbst in der Bibel heißt es: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Das wenden Sie nicht an. Im großen Maßstab wird das natürlich praktiziert, aber im täglichen Leben sei das angeblich etwas ganz Schlimmes. Ich sehe darin überhaupt keine Schwierigkeit. Wo sollte da ein Problem sein? 

Es hat keinen Sinn, diese hypothetischen Situationen zu diskutieren – aus dem einfachen Grund, weil ein vor Zorn bebender und wutentbrannter Mensch nicht versuchen wird, über das Problem des Zorns zu sprechen. Das ist erstaunlich. Denn das wäre die richtige Zeit, sich mit diesen Dingen zu befassen – wenn man wirklich brennt vor Wut, brennt vor Sehnsucht, brennt vor all den Dingen, von denen man sich gerne befreien würde. Ansonsten wird es nur eine rein akademische Diskussion geben, in der man über die Anatomie des Zorns, die Anatomie dessen, wie Zorn entsteht und die Anatomie der Liebe spricht. Es ist wirklich lachhaft. Sie bieten Lösungen an, die in realen Situation nicht funktionieren. Das ist auch der Grund dafür, warum ich über diese Dinge nicht spreche. Der Einzelne hat kein Problem. Wenn er halb wahnsinnig ist vor Zorn – dann ist das die richtige Zeit, um sich damit zu befassen. Es stoppt das Denken.  

F: U.G., besteht die Möglichkeit, das Problem zu erkennen? 

U.G.: Nein, denn Sie selbst sind das Problem. 

F: Also gibt es keine Antwort? 

U.G.: Es gibt keine Möglichkeit, wie Sie sich von dem Problem abtrennen können. Und das wollen Sie tun. Damit will ich sagen, daß Sie die Wut nach außen verlegen, und dann wollen Sie sie als etwas betrachten und auf eine Weise mit ihr umgehen, als sei sie ein Objekt, das außerhalb von Ihnen gelegen ist. Wenn Sie sich davon abspalten, wird als einziges Ergebnis genau das eintreten, was Sie befürchtet haben. Das ist unvermeidlich. Sie haben also überhaupt keine Möglichkeit, eine Kontrolle auszuüben. Gibt es denn etwas, das Sie tun könnten, um diese Abspaltung von dem, was Sie sind, zu verhindern? Es ist schrecklich, wenn man erkennt, daß man selbst die Wut ist, und daß alles, was man unternimmt, um sie zu stoppen oder sie zu vermeiden, falsch ist. Denn das wird immer erst morgen oder in einem anderen Leben stattfinden – niemals jetzt. So sind Sie also.  

Sie sind weder ein spiritueller noch ein religiöser Mensch. Sie können sich zwar einbilden, ein religiöser Mensch zu sein, weil Sie versuchen, Ihren Zorn zu kontrollieren oder sich von ihm zu befreien oder weil Sie sich bemühen, mit der Zeit immer weniger zornig zu werden. All das läßt Sie glauben, daß Sie nicht der lasterhafte Mensch seien, der Sie nicht sein wollen. Sie sind nicht anders. Sie sind kein bißchen mehr spirituell als die Menschen, die Sie verurteilen.  

Morgen werden Sie ein wundervoller Mensch sein, Sie werden frei sein von Zorn und Wut. Was erwarten Sie in der Zwischenzeit von mir? Daß ich Sie bewundere? Weil Sie sich ein Etikett angeheftet haben, das anzeigt, daß Sie ein spiritueller Mensch sind oder weil Sie sich in die dazu passende Robe gehüllt haben? Was soll ich denn Ihrer Meinung nach tun? Wollen Sie, daß ich Sie dafür bewundere? Da gibt es nichts zu bewundern, denn Sie sind genauso lasterhaft wie jeder andere auf dieser Welt. Es hat keinen Sinn, das zu verurteilen. Es hat aber ebensowenig Sinn, eine Haltung einzunehmen, die in keinerlei Zusammenhang steht mit dem, was wirklich geschieht.  

Wie kommen Sie eigentlich zu dieser Einstellung, sich den Tieren so überlegen zu fühlen? Das ist die Haltung, derer Sie sich anmaßen. Die Tiere sind besser als die Menschen. Das Tier handelt auf eine bestehende Gefahr hin, und das geschieht nur zum Zwecke des Überlebens. Wenn Sie Ihren Mitmenschen deshalb töten, um sich selbst ernähren zu können, dann ist das eigentlich eine moralische Handlung – aber wirklich nur dann, wenn es zu diesem Zweck geschieht – denn, wo Sie auch hinsehen, lebt eine Lebensform auf Kosten der anderen. Und wenn sie von Vegetarismus sprechen und dabei Millionen von Menschen umbringen, dann ist das die unmoralischste und unverzeihlichste Tat, die eine zivilisierte Menschheit vollbringen kann. Sehen Sie nicht die Absurdität von beidem? Das Töten verurteilen Sie. Sie lieben die Tiere. Wozu? 

Wie ist es mit den Menschen, die Sie ermorden und massakrieren, nur weil diese eine Bedrohung für Sie darstellen? Vielleicht werden die Ihnen ja eines Tages alles wegnehmen, was Sie besitzen. In Erwartung dessen, daß diese Leute eines Tages kommen könnten, um Sie auszurauben, meinen Sie das Recht zu haben, sie im Namen Ihres Glaubens, im Namen Gottes oder der Himmel weiß was zu massakrieren. So haben es die Religionen von Anfang an gemacht. Welchen Sinn hat es also, diese Religionen wiederzuerwecken? Was sollen diese Scharen von Gurus, die kommen, um etwas zu predigen, das weder in ihrem eigenen Leben noch in den Ländern, aus denen sie kommen, funktioniert? Mögen Sie auch ständig von der Einheit des Lebens sprechen, in ihrem Leben wird nichts davon wirksam. Was heißt das? Sie verurteilen die einfache Tatsache, die zum Überleben nötig ist und die eine durchaus moralische Handlung ist. Dagegen ist es eine pervertierte Handlung wenn man nicht zu überleben versucht, sich nicht selbst ernährt. 

Das Fundament, auf dem die ganze christliche Religion basiert, ist das Leiden. Vergessen Sie das nicht. Sie leiden also in der Hoffnung darauf, einen permanenten Platz im Himmel – einem nichtexistenten Himmel – zu erhalten. Sie gehen jetzt durch die Hölle, in der Hoffnung, nach Ihrem Tod in den Himmel zu kommen. Warum? Leiden Sie nur! Alle Religionen haben das Leiden betont. Ertragen Sie den Schmerz, im Erdulden von Schmerzen liegt Mittel und Weg. Sie gehen durch die Hölle und hoffen, am Ende Ihres Lebens das Paradies zu finden, oder am Ende einer Reihe von Leben, wenn es das ist, woran Sie glauben. Ich weise lediglich darauf hin, wie absurd es ist, über diese Dinge zu sprechen. Die religiösen Lehren sind sinnlos, wenn man dadurch in die Enge getrieben wird. Dann wird man sich genau so verhalten wie alle andern auch. Also reicht diese Kultur, Ihre religiösen oder sonstigen Werte, nicht einmal im Entferntesten an diese Dinge heran.  

Wenn der Mensch von diesem moralischen Dilemma frei ist, das die Basis des gesamten menschlichen Denkens bildet, dann wir er wie ein menschliches Wesen leben. Nicht wie ein spiritueller Mensch, nicht wie ein religiöser Mensch. Ein religiöser Mensch ist nicht gut für die Gesellschaft. Ein freundlicher Mensch (einer, der die Freundlichkeit als einen Kunstgriff anwendet) stellt für die Gesellschaft eine Bedrohung dar.  

F: ...eine Bedrohung? 

U.G.: Er ist deshalb eine Bedrohung, weil von diesen religiösen Menschen, die dergleichen lehren, verheerende Wirkungen ausgehen. Einer, der von Liebe spricht, davon, daß man seinen Nächsten lieben solle wie sich selbst, jemand, der über Gewaltlosigkeit spricht – alle destruktiven Kräften stammen vom Denken dieses Menschen. Wir alle sind die Erben dieser Kultur. Wir können gar nicht anders. Wenn Sie diese Lehrer ablehnen, dann sind Sie frei von der Bürde und der Falschheit der ganzen Kultur. Individuell gesehen sind Sie dann frei von der Gesamtheit all der Absurditäten, die uns auferlegt worden sind. 

F: Ich kann nicht akzeptieren, daß es nicht auch einige geben sollte (zum Beispiel Jesus, wenn auch nicht die Kirche und nicht die Christenheit), die wahre Menschen sind. 

U.G.: Ich weiß, Sie können nicht akzeptieren, was ich sage. Warum haben sie ihn denn damals ans Kreuz geschlagen? Weil er für ihre Gesellschaft eine Gefahr war.  

F: Sie haben aus einem Menschen einen Gott gemacht. Damit bin ich nicht einverstanden. 

U.G.: Er war nicht einmal ein normaler Mensch, denn er stellte Behauptungen auf, aus denen die ganze dogmatische Lehre des Christentums ihren Ursprung nahm. Aber ich verurteile nicht nur Jesus. Ähnliches trifft auf alle Lehrer zu – Buddha, Mohammed – alle, die Sie als die großen religiösen Lehrer der Menschheit ansehen, und ganz zu schweigen von den Leuten, die sich heute auf dem Markt befinden und ihre Geschäfte machen. Aber das soll uns nicht beunruhigen. Es hat sowie so keinen Zweck, ihnen etwas vorzuwerfen. 

Hier sind wir also. Wir sind die Erben dieser ganzen gewalttätigen Kultur. Ihre Kultur dient nur dazu, die Menschen zu lehren, wie man tötet oder wie man getötet wird, sei es nun in Namen der Kultur oder im Namen der politischen Ideologie oder im Namen des Patriotismus oder von sonst etwas. Sie kann gar nicht anders sein. Daher sage ich, daß das Ganze auf die völlige Vernichtung des Menschen hinausläuft. Diese Dinge haben Kräfte der Vernichtung freigesetzt, die keine Macht mehr stoppen kann. 

F: Ja, keine Macht. 

U.G.: Keine Macht, kein Gott kann sie stoppen, denn es waren die Götter selbst, die diese Kräfte der Vernichtung entfesselt haben. Sie sehen gerade jetzt, wie das geschieht. Als der Höhlenbewohner den Kieferknochen eines Esels benutzte, um seinen Nachbarn zu töten, hatten die andern noch eine Überlebenschance. Der Höhlenbewohner von heute lebt im Kreml oder im Weißen Haus oder im Parliament House in Indien – es sind diejenigen, die die Kräfte der Zerstörung freisetzen und entfesseln, die alle Lebensformen auf diesem Planeten vernichten werden. Und dabei wird der Mensch gleichzeitig auch jede andere Spezies mit sich nehmen, die bis heute auf diesem Planeten existiert. 

Das alles ist aus dem Denken jenes Mannes entstanden, der den Menschen Religion lehren und die Liebe im Angesicht der Erde etablieren wollte. Und sehen Sie, was er daraus gemacht hat!

 F: Sie sagen also, wir könnten es nicht aufhalten... 

U.G.: Können Sie es denn? Können Sie es stoppen? Sie können es nicht. Das einzige, was Sie tun können... 

F: Ich glaube, daß wir es als Menschheit tun können, wenn wir nur wollten. 

U.G.: Wann? Nun, ganz offensichtlich wollen Sie das ja nicht. Wollen Sie es? 

F: Ja. 

U.G.: Und wie wollen Sie das anstellen? Sagen Sie es mir. Erkennen Sie die Dringlichkeit der Lage? Irgendein Verrückter kann auf den Knopf drücken. Wir sitzen hier bequem und reden über diese Dinge... 

F: Ich glaube, es gibt eine Möglichkeit, das aufzuhalten. 

U.G.: Worin besteht diese Möglichkeit? 

F: Im Handeln. 

U.G.: Wie? Wann werden Sie handeln? Wenn der passende Zeitpunkt vorbei ist. Wenn der ganze Holocaust einmal freigesetzt ist, dann ist es zu spät. Oder Sie können der Friedensbewegung beitreten – was lächerlich ist. 

F. Es ist lächerlich? 

U.G.: Ja, natürlich. 

F: Ist es zu spät? 

U.G.: Möchten Sie nicht auch, daß die Polizei Ihr kleines Stückchen Eigentum beschützt? Die Wasserstoffbombe ist im Prinzip dasselbe, sie ist sozusagen der verlängerte Arm des Polizisten. Sie können nicht sagen, ich möchte die Polizei, aber nicht die Bombe. Das eine ist nur die Weiterführung des anderen. 

F. Also sind wir hilflos? 

U.G.: Wie können Sie nur glauben, daß es Ihnen möglich sei, dies aufzuhalten? Sie können es in sich selbst stoppen. Befreien Sie sich von der Sozialstruktur, aus der heraus Sie funktionieren, ohne antisozial zu werden, ohne ein Reformer zu werden und ohne Anti-Dies und Anti-Das zu werden. Sie können das Ganze aus Ihrem Körpersystem entfernen und sich selbst von der Bürde dieser Kultur befreien. Ob das für die Gesellschaft von irgendeinem Nutzen sein wird, soll Ihre Sorge nicht sein. Wenn es einem Menschen gelingt, frei zu werden, wird er sich nicht mehr erstickt fühlen von dem, was diese schreckliche Kultur ihm angetan hat. Ob im Westen oder im Osten, es ist überall dasselbe. Die menschliche Natur ist genau die gleiche – es gibt da keinen Unterschied. 

Sie sind alle nur daran interessiert, was Sie tun sollen... 

F: Alle sind wir das. 

U.G.: Wie können wir damit aufhören? Individuell gesehen gibt es überhaupt nichts, was Sie tun könnten; auf kollektiver Eben können Sie eine Heilsarmee oder etwas Ähnliches aufstellen. Das ist alles. Was haben Sie dann? Noch eine Kirche, eine neue Bibel, einen weiteren Prediger. 

F: Was soll ich denn von so einer Antwort halten? Ich stimme damit überein, aber das ist doch alles nur theoretisch. Befreie dich einfach von der Bürde der Kultur. Das verstehe ich. Aber praktisch gesehen ist das natürlich sehr schwierig. Es gibt nichts, was ich deswegen tun könnte. 

U.G.: Es gibt nichts, gar nichts... Sie besitzen keinerlei Handlungsfreiheit. 

F: Nein. 

U.G.: Wenn Sie das einmal verstanden haben, bringt sich das, was ist, selbst zum Ausdruck. Die bereits vorhandene Intelligenz kann viel effektiver wirksam werden als es all die Lösungen können, die der Mensch mittels seines Denkens hervorgebracht hat, welches das Ergebnis von Millionen um Millionen Jahren der Evolution ist. Das Idealbild des vollkommenen Menschen, das wir vor uns aufgerichtet haben, ist nur ein Mythos. Solch einen Menschen gibt es überhaupt nicht. Der ideale Mensch existiert nicht. Das ist nur ein Wort, eine Idee. Sie hoffen Ihr ganzes Leben lang, solch ein idealer Mensch zu werden, und was Ihnen schließlich bleibt, ist das Elend, das Leiden und die Hoffnung. „Eines Tages, Sie werden es schon sehen...“ Das ist die Hoffnung. Sie werden mit dieser Hoffnung sterben. 

F: Also wäre eine Lösung, sein Dasein so, wie man eben ist, zu akzeptieren. 

U.G.: Wie man ist, ganz genau so, wie Sie es eben sind. Dann befinden Sie sich nicht mit der Gesellschaft in Konflikt. Die Kultur hat diese Anforderung in Sie hineingelegt, die Sie dazu drängt, sich in etwas anderes verändern zu müssen. Die Kultur ist dafür verantwortlich. Wenn Sie etwas tun wollen, dann wird Ihnen gesagt: „Junge, paß gut auf, wo du hinläufst!“ Das tun sie. Die zweite Ermahnung kommt dann von der Gesellschaft. „Seien Sie ja vorsichtig“, wird Ihnen gesagt. Das hat Sie ängstlich werden lassen. Gleichzeitig spricht sie aber davon, daß man sich von der Angst befreien und Mut haben müsse – „Seien Sie ein einzigartiger Mensch“ – das geschieht nur zu dem Zweck, Sie wie eine Marionette benutzen und so den Status quo der Gesellschaft aufrechterhalten zu können.  

Die Gesellschaft will Sie Mut und Furchtlosigkeit lehren, damit Sie von Nutzen sein können, wenn es darum geht, ihre eigene Kontinuität aufrechtzuerhalten. Sie sind ein Teil all dessen. Deshalb kommt jedesmal, wenn Sie etwas tun wollen, Angst auf, und es wird Ihnen unmöglich zu handeln. Die Gesellschaft ist nicht außerhalb von Ihnen, die Kultur ist nicht etwas, das außerhalb von Ihnen gelegen wäre, und solange Sie nicht frei davon sind, werden Sie auch nicht handeln können.  

F: Wenn Sie nicht frei davon sind... 

U.G.: Wenn Sie frei sind, werden Sie nicht mehr hierher kommen und mich fragen: „Was wird das für eine Handlung sein?“ Dann besteht diese Handlung bereits. Was Sie betrifft, besteht bereits ein Handeln.  

F: Wollen Sie damit sagen, daß nur ein Mensch, der frei von der Gesellschaft ist, berechtigt ist zu handeln? Sind Sie frei?  

U.G.: Der Mensch ist deshalb nicht imstande zu handeln, weil er immerzu in Begriffen von Handlungsfreiheit denkt. „Wie kann ich frei sein?“ Das ist von größtem Interesse für Sie, die Freiheit. Aber Sie leben diese Freiheit nicht. Die Forderung nach Handlungsfreiheit verhindert die Handlung, die weder sozial noch antisozial ist. 

F: Man ist also dann frei, wenn man sich selbst und seine Situation akzeptiert? 

U.G.: Man befindet sich dann nicht mehr mit der Gesellschaft in Konflikt. Das ist die Realität der Welt, ob Sie nun dieser Gesellschaft von Nutzen sind oder nicht. Allerdings werden Sie ihr nicht von Nutzen sein. Wenn Sie aber zu einer Bedrohung für die Gesellschaft werden sollten, dann wird diese Sie liquidieren. Denn Sie stören sämtliche der Aufrechterhaltung des Status quo dienenden Maßnahmen. 

Sie sind deshalb neurotisch, weil Sie zwei Dinge gleichzeitig wollen. Dadurch ist dieses Problem erst entstanden – weil Sie zwei Dinge zu gleichen Zeit haben wollen. Zunächst einmal wollen Sie in sich selbst eine Veränderung hervorrufen. Die Gesellschaft verlangt nach Veränderung, damit Sie ein Teil von ihr werden können und so die Kontinuität der sozialen Struktur aufrechterhalten. Das zweite ist, daß Sie sich nicht ändern wollen. Darin liegt der Konflikt begründet. 

Wenn die Forderung in Ihnen verstummt ist, daß Sie sich ändern müßten, dann werden Sie sich auch nicht länger damit befassen, Ihre Umwelt verändern zu wollen. Mit beidem ist dann Schluß. Wenn dem nicht so wäre, würde Ihr Tun eine Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Sie wird sie mit Sicherheit liquidieren. Wenn Sie also bereit sind, von dieser Sozialstruktur liquidiert zu werden, bedeutet das, daß Sie Mut besitzen. Mut bedeutet nicht, auf dem Schlachtfeld zu sterben und für Ihre Fahne zu kämpfen. 

Was symbolisiert eine Fahne? Sie schwenken hier mit Ihrer Flagge und die dort mit einer anderen, und dann sprechen beide vom Frieden. Welch eine absurde Situation das ist. Und doch sprechen Sie vom Frieden. Sie leisten einen Treueeid auf Ihre Flagge und die andern auf die ihrige – und gleichzeitig sprechen Sie vom Frieden auf dieser Welt. Wie könnte Frieden herrschen, wenn Sie hier Ihre Fahne schwenken und die andern dort drüben eine andere? Wer die besseren Waffen besitzt, wird den Tag für sich entscheiden. Meine Flagge hier und Ihre Flagge dort – und für die Friedensbewegung schaffen Sie sich noch mal eine andere an. 

F: Es ist zwecklos.  

U.G.: Das versteht sich von selbst. Sind Sie bereit, den Polizisten aufzugeben? Sie wollen sich individuell schützen, Ihr Leben und Ihr bißchen Eigentum. Ich sage nicht, ob Sie das tun sollten oder nicht. Sie brauchen die Hilfe des Polizisten, um das zu beschützen. Also ziehen Sie eine Linie und sagen: „Das hier ist meine Nation“. Sie wollen Ihre Nation schützen. Wenn Sie das nicht tun können, dann werden Sie die Mittel zu Ihrer Verteidigung erweitern müssen, um sich weiterhin zu schützen, und Sie werden sagen, daß das aus defensiven Gründen geschähe. Natürlich ist das defensiv. Die Bombe ist nur die Erweiterung des Polizisten. Dagegen können Sie nichts einwenden, solange Sie wollen, daß die Polizei Ihr Eigentum schützt. Sie können sich an Friedensmärschen beteiligen oder um Kernreaktoren herumsitzen, Friedenshymnen singen und die Gitarre dazu spielen – ‘make love not war’ – hören Sie doch nicht auf all diesen Blödsinn. Liebe machen und Krieg führen sind auf die gleichen Ursprünge zurückzuführen. Das wird zu einer Farce. 

Ich meine, das ist genug. Es ist genug. 

F: In welcher Beziehung stehen wir also zu der Welt, in der wir leben? 

U.G.: In gar keiner, abgesehen davon, daß die von Ihnen erlebte Welt diejenige ist, die Sie selbst geschaffen haben. Sie leben in Ihrer eigenen Welt. Sie haben sich aus Ihren eigenen Erfahrungen Ihre Welt zurechtgezimmert, und versuchen nun, diese nach außen zu projizieren. Sie verfügen über keinerlei Möglichkeit, die Realität der Welt zu erfahren. Sie und ich, wie benützen dasselbe Wort, um eine Videokamera zu beschreiben. Was Sie hier in der Hand halten ist ein Bleistift oder ein Kugelschreiber. Wir müssen derlei Begriffe als solche anerkennen, um damit arbeiten zu können. Wir benützen sie, um in dieser Welt funktionieren und auf intelligente Weise kommunizieren zu können – aber das gilt nur für diese Ebene 

F: Es kann also niemand ein Vorbild für einen anderen abgeben?

 U.G.: Einem anderen nachzufolgen ist etwas für Tiere, nicht für Menschen. Ein Mensch kann keinem andern nachfolgen. In physischer Hinsicht ist man von anderen abhängig, aber das ist auch schon alles. 

F: Sie sagen also, daß es so etwas wie spirituelles Wachstum nicht gibt. Oder könnte man sagen....? 

U.G.:  Ich behaupte, daß es etwas wie Spiritualität nicht gibt. Wenn Sie das, was Sie als Spiritualität bezeichnen, über das sogenannte materielle Leben stellen, dann schaffen Sie sich Probleme. Weil Sie in der materiellen Welt Wachstum und Entwicklung erkennen können, wenden Sie das gleiche Prinzip auch auf das sogenannte spirituelle Leben an.  

F: Wollen sie damit andeuten, daß die Probleme dann beginnen, wenn man die Dinge trennt? 

U.G.: ...wenn man die Dinge trennt, sie in ein materielles Leben und ein spirituelles Leben unterteilt. Es gibt nur ein Leben. Dies ist ein materielles Leben, und das andere besitzt keine Relevanz. Ihr Wunsch, Ihr materielles Leben in diese sogenannten religiösen Verhaltensmuster umzuwandeln, die Ihnen von diesen ‘religiösen’ Menschen vorgegeben werden, zerstört die Möglichkeit, in Harmonie zu leben und die Realität dieser materiellen Welt genau so zu akzeptieren, wie sie ist. Das Sie das nicht tun, ist für Ihr Leid, Ihre Schmerzen und Ihre Sorgen verantwortlich. 

Sie befinden sich in einem permanenten Kampf anders zu sein, und Sie jagen etwas nach, das es nicht gibt. Das hat gar keinen Sinn. Es gibt Ihnen das Gefühl, daß das Tun für Sie weit wichtiger sei als das eigentliche Ergebnis. Sie entfernen sich immer weiter von Ihrem Ziel. Je mehr Sie sich dabei anstrengen, desto besser fühlen Sie sich. Es ist wie mit Ihren Problemen – es ist Ihnen äußerst wichtig, Ihre Probleme zu lösen, dabei interessieren Sie die Lösungen aber weit mehr als die eigentlichen Probleme. Was ist denn das Problem, frage ich? Sie haben keine Probleme, sondern nur Lösungen. Worin besteht denn das Problem? Niemand kann mir sagen, was das Problem ist. 

Sie sagen mir: „Das hier sind alle meine Lösungen. Welche davon soll ich anwenden, um mit meinen Problemen fertig zu werden?“ Worin genau besteht denn das Problem? Die materiellen Probleme sind verständlich. Wenn Sie nicht gesund sind, müssen Sie etwas für Ihre Gesundheit tun. Wenn Sie kein Geld haben, müssen Sie etwas wegen des Geldes tun. Das ist leicht verständlich. Wenn Sie aber psychologische Probleme haben, dann beginnt es wirklich problematisch zu werden. All die Psychologen und die geistlichen Herrschaften mit ihren Therapien und Lösungen versuchen Ihnen zu helfen. Aber das bringt Sie nirgendwohin, nicht wahr? Der Einzelne bleibt so oberflächlich und leer wie zuvor. Was wollen Sie sich denn nur selbst beweisen?

 F: Glauben Sie, daß sich die Probleme von selbst lösen, wenn man sich vom eigenen Leben leiten läßt? 

U.G.: Worin liegt denn das Problem? Sie betrachten niemals das Problem. Sie können das Problem solange nicht sehen, wie Sie an einer Lösung interessiert sind.  

F: Wollen Sie keine Lösungen? 

U.G.: Sie sind nur an Lösungen interessiert, und nicht daran, das Problem zu lösen. 

F: Ist das nicht dasselbe? 

U.G.: Dabei werden Sie herausfinden, daß all diese Lösungen wirklich nutzlos sind. Diese Lösungen werden Ihr Problem nicht lösen, worin es auch bestehen mag. Diese Lösungen sorgen dafür, daß das Problem anhält. Sie lösen es nicht. Wenn etwas nicht stimmt mit Ihrem Tonbandgerät oder dem Fernseher, das kann behoben werden – dafür gibt es einen Techniker, der das kann. Aber dieser Prozeß geht immer weiter und weiter, Ihr ganzes Leben lang. Mal von dem einen mehr und vom andern weniger... 

Sie stellen niemals die Lösungen in Frage. Wenn Sie die Lösungen wirklich in Frage stellen, dann werden Sie auch diejenigen in Frage stellen müssen, die Ihnen diese Lösungen angeboten haben. Aber die Sentimentalität steht dem entgegen, daß Sie nicht nur die Lösungen zurückweisen, sondern auch diejenigen, die Ihnen diese Lösungen gebracht haben. Dieses Infragestellen würde von Ihnen großen Mut erfordern. Sie mögen den Mut aufbringen, auf Berge zu klettern, Seen zu durchschwimmen und auf einem Floß den Atlantik oder den Pazifik zu durchqueren. Das kann jeder Narr, aber der Mut, Ihr eigener Herr zu sein und auf Ihren eigenen zwei Beinen zu stehen, kann Ihnen von niemand anderem gemacht werden. Sie können sich dieser Verantwortung nicht dadurch entziehen, daß Sie versuchen, solchen Mut zu entwickeln. Wenn Sie sich von der Bürde der gesamten Vergangenheit der Menschheit befreit haben – was dann übrigbleibt, ist der Mut.  

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