Das Wetter kontrollieren



Als unjüngst im weltumspannenden Datenverbund Internet zu lesen war, Microsoft plane, die angeschlagene römisch-katholische Kirche zu kaufen, mußte jedem halbwegs vernünftigen Menschen gleich klar gewesen sein, daß es sich dabei um einen Scherz gehandelt hat. Obwohl: Die vermeintlich von Associated Press stammende Pressemeldung war erstaunlich authentisch formuliert, im typischen Verlautbarungsduktus.

Für all jene, denen nicht sofort ein Licht aufgegangen ist, hat das amerikanische Software-Unternehmen vorsichtshalber flugs ein Dementi formuliert. Schade, so wird die wirklich gute Idee, "zum ersten Mal die heiligen Sakramente online zugänglich zu machen", vermutlich verpuffen - wo doch immer weniger in die Kirche gehen.

Spannend wäre es auch geworden, wenn Bill Gates, aus Gründen der besseren Stimmung auf dem Petersplatz, das baldige Erscheinen der Bibel 2.0 ("Jetzt mit noch mehr Geboten!") hätte ankündigen können. Ich denke, der Papst-Sekte hätte derart frischer Wind ganz gut getan. Glaubensstark ist das Team aus Redmond ja durchaus: Schließlich zweifelt dort niemand die Ankündigungstermine an.

Kein Wunder, daß nach einer solchen Geschichte auch das Gerücht geglaubt wird, Bill Gates kaufe das Internet. Das erzählte mir kürzlich der Freund eines Freundes beim Abendessen. "Unsinn", entgegnete ich, "das Internet kann man nicht kaufen." Und schon zückte der Anwalt eine gefalzte Kopie aus dem Jackett: Der Artikel im angesehenen Time Magazine vermittelte tatsächlich den Eindruck, als wolle Microsoft sich den weltgrößten Rechnerverbund einverleiben.

Grund für derlei Gerüchte ist zum einen die Tatsache, daß Microsoft nach Markteinführung von Windows 95 mit einem eigenen Netzwerk auf den Markt kommen und damit vermutlich viel Staub aufwirbeln wird. Jeder Windows-Benutzer ist dann nur noch einen Mausklick von der Anmeldung entfernt. Wenn sich auch nur 10% der vermutlich 30 Millionen Windows-95-Benutzer in den nächsten Monaten registrieren, und sei es nur aus Neugierde, ist CompuServe bereits überholt, zumindest was die Mitgliederzahl betrifft.

Auch wenn Microsofts Online-Dienst schnell Fuß fassen wird, so gehört dem wohlhabenden Unternehmen dadurch noch lange nicht das Internet. "Microsoft hat größere Chancen, das Wetter zu kontrollieren", meinte dazu Brad Templeton, Präsident von ClariNet, der mit Nachrichtendiensten im Internet ganz gutes Geld verdient. Wunschdenken?

Das Internet lebt von der Vielfalt. Wollte es einer dominieren, dann würde er dem Netz den Lebenssaft entziehen. Außerdem hat die Internet-Gemeinde schon mehrfach gezeigt, wie sensibel sie auf unerfreuliche Trends reagiert: Ob verrückte Anwählte meinen, im Internet werben zu müssen, die amerikanische Regierung den Netzsurfern gewisse Chiffrierverfahren vorschreiben will oder Moralisten die "Redefreiheit" zu beschneiden versucht: Die virtuelle Gemeinschaft wehrt sich, meistens mit Erfolg. So wäre das wohl auch bei einem Übernahmeversuch des Netzes. Und wenn 30 Millionen Cybernauten keine Microsoft-Produkte mehr kaufen würden...

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